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Unser 2. Monat

Das gibt es doch nicht: Es ist tatsächlich schon wieder ein Regentag, an dem ich unser zweites Monats-Resumé zu schreiben beginne. Was gibt das für ein Bild von dem Wetter in Shanghai? Auf jeden Fall ein falsches Bild für den September. Die große Hitze ist vorbei. Zu Beginn des Monats hat es zwar fast eine Woche lang oft und ergiebig geregnet. Es hieß, ein Taifun habe Shanghai mit seinen Ausläufern erwischt. Aber seitdem haben wir im Grunde tolles Sommerwetter: Mitte 20 Grad, auch mal ein Wind und abends ist schon eine leichte Abkühlung spürbar. Das gefällt mir besser als die feuchte Dauer-Hitze des Sommers. Die Luft war oftmals wirklich spitze, so dass es nun auch Tage gibt, wo wir von morgens bis abends die Fenster offen haben und eine angenehm frische Brise durch die Bude weht. Und der Garten wird nun fleißig zum Federball spielen genutzt.

 

Wir haben uns weiter eingelebt. Manch alltägliche Dinge scheinen nicht mehr ganz so aufregend. Beim Rollerfahren habe ich mich nun schon getraut, mit Sohnemann hinten drauf zu fahren. Im chaotischen Shanghaier Straßenverkehr. Ich weiß bei den alltäglichen Einkäufen in etwa, was ich wo bekomme, wen ich fragen könnte oder wo ich ungefähr suchen sollte. Ich war auch abends mal unterwegs, habe dabei ganz nette, wirklich tolle, aber auch weniger spannende Frauen getroffen und ich muss sagen, ein Gruppentier bin ich noch immer nicht. Mit zwei Frauen aus der Nachbarschaft habe ich mehr zu tun und es gibt immer wieder Tage, da sitzen wir lange beisammen und die Stunden rasen so dahin. Es entwickeln sich gute Gespräche, echte Gespräche, in denen es auch mal um die weniger schönen Seiten im Leben geht. Ein bisschen Tiefgang tut hier in der Ferne besonders gut und ich bin froh, diese beiden Damen in meiner Nähe zu wissen. Da kann ich auf den verbreiteten "alles toll in meinem Leben in Shanghai"-Smalltalk gerne mal verzichten. Obwohl wir ja meist über den ersten Smalltalk zu einer Annäherung an den Menschen kommen, der uns da gerade gegenüber steht. Doch meist spüren wir ja recht schnell, ob sich ein zweites Treffen lohnt oder eher nicht.

Es gibt aber auch die Tage, wo ich zuhause bleibe, entweder weil ich die Ruhe brauche oder weil es mich gerade nicht in die fremde Welt vor der Haustür zieht. Dann reicht mir die kleine Welt, die Haus und Garten mir bieten. Lesen, schreiben, mit einer lieben Freundin dahoam texten oder reden, kochen, meine Hausaufgaben für Chinesisch machen, einfach nur in die Luft starren oder mit Hund Harry eine Runde drehen.

 

Der Junior ruckelt sich in der Schule zurecht, stößt dabei aber auch mal an seine persönlichen Grenzen. Sein eher zurückhaltendes Wesen steht ihm manchmal im Weg, locker-fluffig auf neue Kinder zuzugehen oder sich spontan zu verabreden. Das stört ihn und er versucht über seinen Schatten zu springen, was ihm mal mehr mal, weniger gelingt. So ist es an manchen Tagen eine kleine Achterbahnfahrt der Gefühle, mal ein Wutanfall, mal eine Träne. Wahrscheinlich eine Mischung aus neuer Schule, neuem Leben im Ausland und wild wirbelnder Hormone. Aber das war zu erwarten. Das gehört zum inneren Wachsen dazu, denke ich. Anstrengend ist es natürlich trotzdem für alle Beteiligten.

Er hat nun 2 mal pro Woche Fussballtraining, versteht seinen argentinischen, aber englisch sprechenden Trainer nicht immer, aber immer öfter und Mitte Oktober beginnen dann die Ligaspiele. In schwarz gelben BVB Trikots. Das ist vielleicht ein ungewohntes Bild für die eher an bayrisch-münchnerisches Rot gewöhnten Augen. Aber er trägt sein Trikot mit Stolz.

 

Um dieses Land ein bisschen besser kennenzulernen, haben wir natürlich das langes Mondfest-Wochenende genutzt und sind verreist. Peking hieß unser Ziel. Ich empfinde es als etwas Besonderes, auf der Chinesischen Mauer oder durch die Verbotene Stadt spazieren zu dürfen. Zuvor in Deuschland hatte ich nie davon geträumt, genau an diese Orte zu reisen, aber ich genieße es trotzdem sehr und bin dankbar für diese Erlebnisse und Momente. In Shanghai waren wir (aus Juniors Sicht) jetzt auch endlich auf einem der Wolkenkratzer, dem Shanghai Tower in Pudong. Diese Metropole von oben zu sehen, ist schon krass. Allein die Fahrt mit dem Aufzug ist ein Erlebnis. Ein Erlebnis worauf der Gatzinger natürlich lieber verzichtet hätte. Anschließend sind wir im Dunkeln durch Pudong gelaufen und haben die hell erleuchtete, blinkende Stadt von unten betrachtet. Irgendwann hatte ich das Gefühl, demnächst eine irreversible Genickstarre zu erleiden.

 

Hey, ihr lieben Freunde, liebe Familie in der Heimat, ich kann nur sagen, dass ich mich wirklich freuen würde, wenn ihr uns besuchen kommt. Ich hätte große Lust euch einen Teil des Lebens, unseres Lebens hier zu zeigen. China ist natürlich ganz anders als Europa. China ist aber oft auch ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe. Und Shanghai ist sicher auch nicht das klassische China. Aber bei der Größe des Landes gibt es "dieses eine China" wahrscheinlich gar nicht. Die Provinzen unterscheiden sich sicher ebenso von einander wie die Länder in Europa. Es gibt hier natürlich viele Dinge, die mir nicht gefallen. Es gibt aber auch ganz viele Dinge, die mir sehr wohl gefallen, die mir Spaß machen. Die das Bild, was ich von China in meinem Kopf hatte, sehr verändern, positiv verändern. Veränderung finde ich immer spannend! Ihr seid jedenfalls herzlich willkommen im Hause Gatzinger!

 

Der September-Bericht kommt schon vor Monatsende. Das liegt daran, dass die Herbstferien anfangen und wir Urlaub machen. Der erste Familienurlaub in diesem Jahr. Das wird auch Zeit. Unser erster Urlaub seit langer Zeit ohne Bulli und ohne Sardinien, ohne Skandinavien. Wir probieren mal wieder was Neues aus: Es geht an den Strand und es geht in den Regenwald. Wenn wir zurück sind, werde ich berichten.

 

Liebe Grüße aus dem Reich der Mitte,

die Gatzingerin