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Unser 4. Monat

Der November ist gefühlt an uns vorbei gerast. Er hat ganz spätsommerlich angefangen und ab Mitte des Monats dann die ersten wirklichen Herbsttage mit sich gebracht. Seit der letzten Woche ist es kalt geworden. Das Thermometer sinkt in der Nacht auf knapp unter 10°C, meist ist es bewölkt, Mützen und dünne Handschuhe liegen zum Fahrrad- und Rollerfahren bereit. Ohne dicke Jacken und warme Schuhe geht jetzt nichts mehr. Im Grunde geht das Jahr fast direkt vom Spätsommer in den Winter über.

 

Der November begann für die Schüler mit einem überraschenden, langen Wochenende. Damit zu Beginn der großen China-Import-Messe, wenn der Präsident in der Stadt weilt, möglichst wenig Verkehr herrscht, hat die Stadt Shanghai spontan angeordnet, alle Schulen sowie viele Firmen und Behörden im Stadtgebiet für 2 Tage zu schließen. Wir haben uns gefreut und wollten ebenso spontan nach Hangzhou reisen, aber diese Pläne wurden durchkreuzt, da der Gatzinger doch arbeiten musste und der Flixinger auf einem Kindergeburtstag eingeladen war. Da allerdings auch das eigentlich angesetzte Fussballspiel abgesagt wurde, konnten wir mit auf einen Wanderausflug der Schulklasse fahren. Viele Schüler, die 2 Klassenlehrer und Eltern waren dabei. Es ging mit dem Bus 2 Stunden Richtung Süd-Westen an den Nan-Bei-Hu (North-South-Lake), ein See mit kleinen Hügeln drum herum. Das Wort Wanderung wäre zu viel gewesen, aber es war ein schöner Ausflug und eine gute Gelegenheit, ein paar von den anderen Eltern kennenzulernen. Besonders gefreut hat mich zu sehen, welch guten Umgang und Kontakt die Kids mit ihren beiden Lehrern haben. Das Wetter war wunderbar sonnig und mild und der Tag rundum gelungen. Auf der Heimfahrt wartete dann noch ein Highlight: Es war 2 Tage vor Messe-Eröffnung und so wurden alle Autos, Busse und LKWs an einer Polizeisperre angehalten und kontrolliert. Blöd nur, dass nicht alle ihre Ausweise mit dem Visum dabei hatten. In dem Moment war ich dem Gatzinger sehr dankbar, dass er unsere Pässe am Morgen eingesteckt hatte. So verbrachten wir eine geschlagene Stunde am Checkpoint und die Erwachsenen ohne Pässe mussten ernste Belehrungen über sich ergehen lassen, bevor wir gemeinsam weiterfahren konnten. Die Konsequenz aus der Aktion: Bis zum Ende der Messe immer schön den Pass dabei haben! Aber in weitere Kontrollen bin ich nicht mehr geraten.

 

Auf meinen Streifzügen durch Shanghai habe ich nach einer ganz bestimmten Adresse gesucht. Dort hat die Mama meiner Chefin, das Öko-Urgestein vom Ammersee-Westufer, in ihrer Kindheit für einige Jahre gewohnt. Ich war ausgestattet mit einem Foto und einer alten Shanghaier Adresse. Die Strasse heißt heute anders, aber sie war nicht schwer zu finden. Ein wenig aufgeregt lief ich die Yuyuan Lu entlang, viele Häuser und Gassen schienen noch alt zu sein. Einige Abschnitte stehen sogar unter Denkmalschutz, dazwischen aber war vieles abgerissen und neu gebaut wie mittlerweile an viel zu vielen Stellen in der Stadt. Aber die kleine Gasse, in der sie damals in den 40er Jahren gewohnt hatte, stand noch und ebenso das Haus mit einem kleinen Innenhof hinter der Gartenmauer. Da stand ich nun und war innerlich total aufgewühlt und gerührt. Natürlich habe ich von allen Seiten Bilder gemacht, um diese mitsamt Bericht nach Deutschland zu schicken, aber es hat mich wirklich traurig gemacht, dass ich es ihr persönlich nicht mehr zeigen konnte. Dafür ist diese tolle Frau leider 3 Jahre zu früh gestorben. Wie gerne hätte ich mit ihr über die alten Gassen und das Leben hier gesprochen. Das war damals ein ganz anderes Shanghai, wovon ich mir gerne ein wenig hätte erzählen lassen.

 

Für den Junior gab es Geburtstagsfeiern, die zum Teil mit Übernachtung aber ohne Schlaf abliefen, weil die Jungs immer wieder aufgestanden sind, um Tischtennis zu spielen. Es gab Fussballspiele, die leider noch meist verloren werden. Seine Gitarre nimmt er nun auch wieder häufiger in die Hand, da wir endlich einen Gitarrenlehrer aufgetrieben haben. Die Chemie zwischen den beiden scheint zu stimmen, denn er geht gerne hin.

 

Ich hatte mir eigentlich auch vorgenommen, meine Gitarre wieder mehr in die Hand zu nehmen, aber aber aber! Mein Sohn hat mich angesteckt mit seinem Harry-Potter-Fieber. "Mama, das musst du unbedingt auch lesen!" Und so muss ich im Moment tatsächlich einfach nur lesen, denn die Bücher sind wirklich toll geschrieben und ich verstehe sehr gut, was die Kids (und viele Erwachsene) daran so fasziniert und fesselt.

Im Chinesisch Unterricht sind wir fleißig und bereiten uns schon auf die HSK1 Prüfung im Dezember vor. Ansonsten ist nicht viel Spannendes passiert. Der Alltag hat uns im Griff, würde ich sagen. Zum klassischen November passen Bücher, Sofa, Tee und Wolldecke aber auch einfach zu perfekt.

 

Mit beginnendem Schmuddelwetter hatte es den Gatzinger für ein paar Tage komplett zerlegt. Er musste sich mit Wärmflasche ins Bett verkriechen und tapfer meine Ingwer-Zitrone-Honig-Mischung oder den Thymiantee über sich ergehen lassen. Der Junior ist erstaunlicherweise immer noch topfit, obwohl er gefühlt bis eben gerade noch in kurzen Hosen rumlief und auf dem Rückweg aus der Schule gerne im T-Shirt Fahrrad fährt. Aber das scheint ihn abzuhärten.

Blöd ist es für uns drei, wenn ein lieber Mensch im Krankenhaus liegt und operiert werden muss und wir das alles nur aus der Ferne verfolgen können. In solchen Momenten fühle ich mich noch ein wenig weiter weg als sonst. Aber es scheint alles gut überstanden und wieder bergauf zu gehen. Da sind wir sehr dankbar, dass es viele liebe Menschen gibt, die sich ganz toll kümmern und uns auf dem Laufenden halten.

 

In weihnachtlicher Stimmung sind wir noch nicht. Keiner von uns, wobei das beim Gatzinger auch niemand erwarten würde. Immerhin hängt am Treppengeländer ein Adventskalender mit 14 kleinen Säckchen. Ja, nur 14, danach sind wir on Tour. Aber zu viel mehr Weihnachtsdeko haben wir es tatsächlich nicht gebracht. Keiner hat Lust auf Kekse backen, Fensterschmuck oder ähnliches. Irgendwie passt das vom Gefühl her dieses Jahr nicht. Auf dem Weihnachtsmarkt an der Schule sind wir heute aber natürlich gewesen und es war eine wirklich schöne Veranstaltung mit vielen netten Menschen und Ständen, lecker Essen und Glühwein, Tombola und Auftritten des Orchesters, der Chöre und der Schulbands. Und während ich dieses hier schreibe, verkauft der Gatzinger noch immer am Glühweinstand.

 

Ich sende liebe Grüße gen Westen und wünsche euch eine gemütliche Adventszeit!

die Gatzingerin