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Chinesenstadt - reloaded

Bei einem erneuten Besuch der alten Chinesenstadt im September bin ich mit einem irgendwie mulmigen Gefühl durch die alten Gassen der Altstadt gegangen. Wo es früher nur so wuselte von Menschen, Fahrrädern und Motorrollern, herrscht nun erschreckende Stille. All die kleinen Läden und Straßenküchen sind verschwunden. Die Häuser sind in weiten Teilen verlassen, Hauseingänge und Fenster zugemauert oder mit Brettern verschlossen. Ab und zu begegnen mir Menschen, aber das Alltagsleben ist mittlerweile komplett aus dem Stadtbild verschwunden. Ein trauriges Bild.

 

Manche Viertel sind bereits komplett abgerissen und die Neubebauung hat begonnen. Ganze Wohncontainer-Siedlungen sind an manchen Stellen entstanden, um all die benötigten Bauarbeiter unterbringen zu können. Ein kleiner, gelber Tempel steht nun einsam wie ein kleiner Fremdkörper inmitten dieser riesigen Baustellen rechts und links der Strasse und wartet auf seine neue Nachbarschaft. Zwischen all den modernen Hochhäusern, die dort laut Plakat entstehen werden, wird der flache Tempelbau wahrscheinlich wie eine Miniaturanlage aus längst vergangenen Zeiten erscheinen.

 

Es stimmt mich traurig, der alten Chinesenstadt beim Verschwinden zuzusehen, aber ich verstehe auch, dass die Menschen unter den teils unmöglichen hygienischen Bedingungen teilweise kaum mehr leben wollen oder können. Durch das feucht-warme Klima hier sind viele Wände feucht und schimmelig, Sanitäranlagen sind in den Häusern oftmals nicht vorhanden. Es ist dunkel, eng und stickig im Inneren der kleinen Wohneinheiten. Daher hat das Leben zu großen Teilen draußen auf den Straßen stattgefunden. Ich versuche mir vorzustellen, wie sich so ein Umzug in moderne Neubauten am Stadtrand anfühlen mag. Vielleicht sind manche Bewohner glücklich über eine Dusche, eine eigene Toilette und fließend warmes Wasser in der Wohnung und eine Heizung, die im Winter wärmt und die Feuchtigkeit vertreibt. Aber das neue Leben muss sich sicher auch etwas fremd und steril anfühlen, nach all den Jahren in den wuseligen Gassen der Altstadt. Die gewachsene Gemeinschaft der Nachbarschaften wird mit dem Umzug wahrscheinlich wegbrechen und fortan fehlen. Bleibt zu hoffen, dass die umgesiedelten Chinesen es schaffen, ihren Gemeinsinn mitzunehmen und aufrecht zu erhalten mit ihren morgendlichen Formationstänzen zu lauter Musik auf den Plätzen, ihren Spielen und einer Runde TaiChi im Park. Ich wünsche es Ihnen.

 

Liebe Grüße, die Gatzingerin

 

04. Dezember 2019

 

Die Altstadt von Shanghai, auch "Alte Chinesenstadt" genannt, ist zunehmend am Verschwinden. Immer mehr alte Gassen und Wohnhäuser sind dem Untergang geweiht. Wo vor ein paar Wochen noch Leben in den Gassen war, herrscht heute beängstigende Stille. An viele Eingangstüren findet sich ein Datum, geschrieben mit roten Spraydosen. Das Räumungsdatum. Sind die Häuser und Geschäfte dann erst einmal leer, werden alle Fenster und Türen zugemauert, damit keiner auf die Idee kommt, sich bis zum endgültigen Abriss dort nieder zu lassen. Natürlich sind die Gassen eng, die Wohnungen und Häuser ebenso. Sie haben keine Heizungen, keine Toiletten, keine Bäder. Dafür gibt es ein gut funktionierendes Sozialleben, ein System aus Familie, Freunden und Nachbarn, die sich gegenseitig unterstützen. Viel Leben spielt sich draußen auf den Gassen ab, Wäsche wird draußen getrocknet und Bettdecken hängen zum Lüften neben der Strasse. Die Menschen sitzen zusammen auf Stühlen vor ihren Häusern, fliegende Händler fahren vorbei und die nächste Marktstrasse ist auch nicht weit.

Werden diese traditionellen Wohngebiete abgerissen, entstehen an ihrer Stelle meist Hochhaus-Siedlungen. Diese bieten natürlich mehr Menschen Wohnraum, dazu den Komfort eines Badezimmers und Wärme in der kalten Jahreszeit. Aber das muss man sich dann auch erste einmal leisten können. Die alten Bewohner müssen zumeist an den Stadtrand umsiedeln, bestehende Nachbarschaften und soziale Netzwerke werden dabei auseinander gerissen.Eigentlich müsste sich die Stadt Shanghai den Luxus gönnen, diese alten, historischen Gassen zu erhalten und zu renovieren. Aber Grund und Boden sind hier mitten in der Stadt so unvorstellbar viel Geld wert, dass fast immer der schnöde Mammon regiert und gewinnt. Leider. Das sieht bei uns ja oft nicht anders aus.

Unser geführter Gang durch die Überreste der Alstadtgassen endete bei einem der ältesten Häuser Shanghais. Es handelt sich eigentlich um viele Einzelhäuser die durch kleine Gänge, Tore und Innenhöfe (die sogenannten Courtyards) miteinander verbunden sind. Früher gehörte es einer intellektuellen Familie, die dort zahllose Bücher, Zeichnungen und Bilder sammelte. Daher kommt der Name "书隐楼 Shu Yin Lou — ‘The Secluded Library’". Während der Kulturrevolution unter Mao hat das Anwesen allerdings erheblich gelitten, wurde seinen Besitzern weg genommen und teilweise als Standort für eine kleine Fabrik zweckentfremdet. Heute lebt dort noch die alte Frau Guo, die versucht ein wenig Ordnung zu halten. Die Stadt Shanghai möchte den Komplex eigentlich erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich machen, aber das "Erhalten" kann auch bedeuten "Abreißen und auf alt gemacht wieder aufbauen". Historisches Disneyland. Aber bisher sind das alles nur Lippenbekenntnisse. Wir hatten also die Möglichkeit, von Frau Guo durch ihr verfallenes Anwesen geführt zu werden. Nach dem Betreten des ersten Hofes war der Lärm und das Gewusel der Großstadt verschwunden. Alles ist sehr verfallen, strahlt aber einen wahnsinnigen Charme aus und fasziniert durch die künstlerischen Details. Alle wurden ganz leise und gingen still umher. Es war nur noch Flüstern zu hören. Ein verzauberter Ort. Fast wie eine Zeitreise. Ein Stück faszinierendes Altes China. Vielleicht können die Fotos die besondere Atmosphäre dieses Ortes wenigstens ein kleines bisschen zeigen?!

 

Liebe Grüße, die Gatzingerin