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Verkehrsteilnehmer

Jetzt lebe ich seit gut einem halben Jahr in Shanghai und habe mich vom anfänglich erstaunten Beobachter zum aktiven Teilnehmer am Straßenverkehr gemausert. Zudem leben wir auch nicht mitten in der City von Shanghai sondern am etwas ruhigeren Stadtrand. Doch auch hier draußen kann es zur Rushhour recht wuselig und unübersichtlich werden und die teilweise etwas eigenen chinesischen Verkehrsregeln und Gewohnheiten gelten überall gleich.

 

Ich fahre hier Fahrrad. Ich fahre im Alltag sogar mehr Fahrrad als in Deutschland. Ich radl zur Schule (früher, als Schule noch stattfand), zum kleinen Laden um die Ecke oder zum Bäcker und so kommen fast jeden Tag ein paar Kilometer zusammen. Das hat mich selbst überrascht.

Ich fahre auch gerne mit dem Roller und seit fest steht, dass wir nun tatsächlich 3 Jahre hier sein werden, habe ich auch meinen eigenen Roller. Bis Ende November hat das Roller fahren auch noch sehr viel Spaß gemacht und so habe ich wirklich viele Entfernungen hier zurück gelegt. Aber mit der feuchten Kälte und der vermehrt schlechten Luftwerte im Winter hat es keinen Spaß mehr gemacht. Die Roller haben also fein eingepackt Winterschlaf gemacht und freuen sich seit Anfang März über das Frühlingserwachen. Da momentan die Straßen noch immer recht leer sind, macht ein Rollerausflug am Wochenende bei milden Temperaturen besonders viel Spaß.

 

Kurz vor den Weihnachtsferien habe ich dann noch meinen chinesischen Führerschein gemacht und im ungemütlichen Januar war ich tatsächlich sehr froh darüber. So kann ich jetzt spontan und trocken zum Einkaufen oder mit dem Junior zum Gitarrenunterricht fahren. Ich bin allerdings noch sehr weit davon entfernt, selbst am Steuer sitzend in die Stadt zu fahren, aber für den Kleinkram hier draußen am Stadtrand reicht es aus und ist eine Bereicherung.

 

Das Miteinander hier im Straßenverkehr ist allerdings ein anderes als in Deutschland. Dabei soll der Verkehr in Shanghai aufgrund sehr strenger Kontrollen und allgegenwärtiger Videoüberwachung wesentlich übersichtlicher und gesitteter sein als etwa in Peking. Als Radler, Rollerfahrer und Fußgänger muss ich stets auf der Hut sein, was die Autos und Busse um mich herum machen: plötzliches Abbiegen, Anhalten, Anfahren ist Alltag. Da heißt es immer besonders vorausschauend fahren. Dann sind da aber auch noch die planlos erscheinenden und oftmals auf ihr Handy fixierten Fussgänger, die auf der Strasse statt auf dem Fussweg gehen, die ohne zu schauen aus dem Bus oder Auto steigen, die gerne auch mal auf dem Radweg joggen oder ihren Kinderwagen auf der Strasse schieben. Es ist alles jederzeit möglich. Dafür kann ich aber auch komplett ohne Probleme mit dem Radl oder Roller entgegen der Fahrtrichtung fahren. Da gibt es ungeschriebene Regeln wer innen und wer außen fährt, da meckert keiner oder schaut dich böse an. Das ist die Freiheit im Chaos.

 

Der chinesische Straßenverkehr ist an sich recht defensiv aufgestellt, obwohl gerne auch mal gedrängelt wird. Gehupt wird selten und ist auch oftmals verboten. Das schönste Beispiel ist das Linksabbiegen. Will ich etwa vom Parkplatz kommend auf die Straße nach links fahren, dann schau ich kurz und sobald auch nur eine klitzekleine Lücke erkennbar ist, fahre ich langsam los. Wie ein Wunder nehmen mich alle wahr, lassen mich vorbei und einfädeln. Keiner hupt, keiner schaut mich böse an, keiner findet das frech. Soweit die Theorie. Da ICH persönlich aber bisher noch nicht so wirklich in der chinesischen Fahrweise angekommen bin, traue ich mich meist nicht einfach los zu fahren und warte lieber auf die große, deutsche Lücke. Das versteht natürlich niemand hier. Was passiert? Ich werde angehupt! Und zwar von hinten, weil ich unnötigerweise den ganzen Verkehr aufhalte. Das spontane Linksabbiegen muss ich noch üben. Der Gatzinger ist da schon Profi! Der fährt überall hin, wenn es sein muss und hat sich schon super an die chinesische Fahrweise angepasst. Und es macht ihm wirklich Spaß! Bei mir ist es mehr Mittel zum Zweck.

 

Ungewohnt und unangenehm ist für mich die Tatsache, dass viele Menschen auf ihren Zweirädern im Dunkeln ohne Licht unterwegs sind. Das soll wahrscheinlich energiesparend sein, aber lebensverlängernd ist es sicherlich nicht. Daher fahre ich nicht so gerne abends mit dem Auto, weil es mich stresst, ständig nach unbeleuchteten Fahradfahrern und Rollerfahrern Ausschau zu halten.

 

So taste ich mich immer weiter voran. Zuerst nur mit dem Radl, dann kam der Roller dazu und nun sitze ich selbst immer mal wieder hinterm Steuer. Aber es ist nach wie vor noch ein wenig aufregend für mich, wenn ich selbst am Steuer sitze und den Compound verlasse. Aber ich übe und vielleicht wird sich mein Radius ja Stück für Stück erweitern. Wir werden sehen!

 

Liebe Grüße, die Gatzingerin