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Alltag 2.0

Was wäre der Mensch ohne seine Routinen und Gewohnheiten?! Gerade in der momentanen Situation des WorldWideAusnahmezustands finde ich es besonders bemerkenswert, wie schnell wir in der Lage sind, uns an veränderte Bedingungen anzupassen und darin zurecht zu finden. Es bringt ja auch nichts, den Kopf in den Sand zu stecken und so zu tun, als wäre nix gewesen. Ebenso wenig ist es sinnvoll in den Panikmodus zu fallen und Chaos um sich herum zu verbreiten. Und der beliebte Jammer-Opfer-Modus ist von allen Möglichkeiten eine der schlechtesten. Was bleibt? Die Situation annehmen wie sie ist, mit ihr umgehen und das Bestmögliche daraus machen! Was natürlich nicht immer ein Kinderspiel ist.

 

Wie sieht es bei uns aus?

Wir befinden uns mittlerweile in der 6. Woche des eLearnings und diese vertrackte 6. Woche war bisher die schwerste. Irgendwie war der Wurm drin - die Luft raus - rien ne va plus. Es war eine Schulwoche, die laut Wochenplan im Zeichen der Ordnung und Nacharbeit stand und weniger des Vorankommens. Da der Junior aber bis dato wirklich fleißig gewesen ist, hatte er nicht mehr viel zu tun, außer seine online und offline Ordner zu sichten und zu sortieren. Ansonsten verspürte er wenig bis keine Motivation einige der freiwilligen Arbeiten zu erledigen und so stecken wir mitten in einer lustlosen und faulen Woche. Nur ein Arbeitsblatt in Bio und ein Probetest in Deutsch stehen noch auf dem Programm und eine wirklich tolle, selbst geschriebene Tigergeschichte ist das non-plus-ultra der Woche. So blieb viel Zeit zum Lesen, zum Decke auf den Kopf fallen lassen oder zum Lagerkoller bekommen, was der allgemeinen Stimmung im Haus nicht besonders zuträglich war. Hätte da doch bloß niemand "freiwillig" vor diese Aufgaben geschrieben... Doch die Mutter der Gatzingerin behauptete gestern in Wort und live-Bild, dass ihre beiden Kinder auch nie irgendetwas freiwillig für die Schule getan haben. Komisch, daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern..., aber den Junior hat es gefreut, das zu hören.

 

Ebenso sitzt der Gatzinger mittlerweile seit 3 Wochen hier in Shanghai im Homeoffice und da ist jetzt auch oftmals die Luft raus und die Energie in seinem Arbeitszimmer nicht immer die Beste. Es kommt zu Stimmungsschwankungen - auf und nieder immer wieder... Nächste Woche geht es aber erstmals für ein paar Tage und ein paar Stunden ins Büro. Den kompletten Tag hält es in den noch ungeheizten Büros wohl niemand aus. Und wer will momentan schon krank werden und Erkältungssymptome haben?

 

Mir selbst ist Montag und Dienstag aber selber auch die Decke auf den Kopf gefallen und ich hatte keine Lust etwas zu tun, weder im Haus, noch außerhalb. Da haben wir uns gegenseitig irgendwie angesteckt. Aber das war bisher auch das erste Mal seit wir wieder hier sind und gehört wohl irgendwie dazu. Irgendwann erwischt der Lagerkoller wohl jeden.

 

Aber zurück zum Alltag.

Morgens lassen wir es sehr ruhig angehen. Der Gatzinger ist meist der erste, der aufsteht und dann mit einem Kaffee und Kopfhörer vor seinem Computer sitzt und arbeitet. Ich lasse es ruhiger angehen und genieße den entspannten Morgen bei Tee und Obstsalat. Zum späten Frühstück gibt es auch mal Leckereien wie Pfannkuchen oder Rühreier. Dann kommen eine paar Schuleinheiten dazu, der ein oder andere Spaziergang durch den Compound mit Hund sowie anderen Müttern und Kindern, die zwischendurch an die frische Luft müssen. Es folgt eine Roller- oder Fahrrad-Einkaufstour, Federball im Garten, Fussball mit einem Kumpel. Abends wird gerade viel Kniffel gespielt oder ein Film angeschaut. Es interessiert ja niemanden, wenn es mal später wird.

 

Wir haben 14 Tage Fahrtenbuch schreiben, 2 mal täglich Fieber messen und dokumentieren hinter uns und dürfen nun den Compound verlassen, wie es uns beliebt. Lediglich die Ausgangssperre von Mitternacht bis 6 Uhr in der Früh müssen wir einhalten. Verlassen wir den Compound, bekommen wir pro Person eine Karte, die wir gut aufbewahren müssen. Denn ohne diese Re-entry-card kommen wir nicht mehr in unseren Compound zurück; zumindest nicht ohne größere Diskussionen. Dazu wird am Eingang immer noch Fieber gemessen, wenn man zurück kommt. Aber das ist meist eher harmlos, wird am Handgelenk gemessen und wir leiden fast immer an unter-Temperatur. So richtig scheinen die Dinger nicht zu funktinieren. Vor den Eingängen der Compounds stehen überall viele wichtige und offizielle Schilder, die es wahrscheinlich zu beachten gilt. Lesen kann ich die allerdings nicht, da sie nur auf chinesisch sind. Bisher scheint unser Verhalten zu passen, denn die Guards am Eingang sind immer freundlich und gut gelaunt. Besuch dürfen wir allerdings immer noch nicht empfangen, es sei denn er wohnt im selben Compound. Da wird genau kontrolliert. Ebenso dürfen all die zahlreichen Lieferservice Fahrer nicht direkt bis zu unserer Haustür fahren. Sie müssen alles am Eingang abliefern und die Mitarbeiter des Compounds kümmern sich um die Zustellung.

 

Und unsere Wochenenden?

Der Junior nutzt die Wochenenden immer, um mit seinem besten Feund zu spielen und bestenfalls auch bei ihm zu übernachten. Dort sind die Einlasskontrollen für Kids anscheinend weniger streng und bisher hat noch keiner gemeckert, weil da ein Kind zu viel im Auto saß. Die Jungs genießen dann die gemeinsamen 24h und wir Eltern genießen ein freies Wochenende. Das füllen wir dann mit kleinen Rollerausflügen bei Sonnenschein oder so romantischen Dingen wie für besseres Internet im gesamten Haus sorgen oder auch mal mit einem Hausputz.

Letzten Samstag waren wir allerdings mit einer Truppe sehr netter Menschen abends in der Stadt zum Essen verabredet. Ein tolles Restaurant direkt am Bund, wo am Wochenende normalerweise ohne lange Vorreservierung gar nix geht. Jetzt waren dort nur wenige Tische belegt, die meisten mit Westlern. Die Chinesen meiden zum größten Teil immer noch die Öffentlichkeit, beschränken sich augenscheinlich auf's Einkaufen und Arbeiten und bleiben ansonsten lieber noch daheim. Uns Westlern fällt die Decke viel eher auf den Kopf und wir haben das Gefühl "Ich muss unbedingt mal wieder raus!". Es war wirklich ein guter Abend mit fröhlichen Menschen und alle haben die bunte Gesellschaft genossen. Kalt war es im Restaurant, da über Klimaanlagen noch nicht wieder geheizt werden darf. Sehr, sehr lecker war es und um halb 10 wurden wir dann auch raus geworfen, da sie gleich die Türen wieder schließen würden. So kamen wir noch in den Genuss, einen Blick auf die Skyline von Pudong und den Bund zu werfen. Normalerweise ist es dort am Wochenende gerammelt voll, aber dieses Mal waren wir fast die einzigen Schaulustigen. Ein wunderbares Privileg.

 

Wir haben beschlossen, dass wir die Stadt und einige der Highlights in nächster Zeit vermehrt besuchen müssen, denn so leer erlebt man die Sehenswürdigkeiten sonst nie. Wir sind nur 25 Minuten in die Stadt gefahren, was sonst mindestens eine Stunde dauert. Wahrscheinlich sperren viele Museen und Restaurants demnächst wieder ihre Türen auf. Die Zeichen stehen auf "go". Dann sollten und wollen wir die Zeit nutzen und uns einiges ansehen, bevor die Touristen vielleicht im Sommer zurück kommen.

 

Das Corona-Tief scheint in Shanghai überwunden. Licht am Ende des Tunnels. Die Vorschriften lockern sich. Strassen füllen sich mit Autos, Rollern und Menschen. Der Lärm einiger Baustellen ist schon zurück. Und ich habe das Gefühl, dass wir nach den Ungewissheiten und Einschränkungen der letzten Wochen viele Dinge wieder intensiver und bewusster wahrnehmen und genießen.

 

Ich bin gespannt wie es weiter geht mit unserem Alltag. Vielleicht kommt der Arbeits- und Schulalltag bei uns ja schon Anfang April zurück? Und wahrscheinlich ändert sich der Alltag der Menschen in Deutschland auch gerade für einige Zeit. Durchhalten! Seid geduldig. Wo auch immer ihr seid. Das Licht am Ende des Tunnels kommt.... irgendwann.

Liebe Grüße, die Gatzingerin