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Grenzen

Seit Samstag hat China seine Aussengrenzen komplett geschlossen. Es werden nur noch Menschen mit chinesischer Staatsbürgerschaft reingelassen. Grund dafür ist, dass nun vermehrt Coronainfektionen aus aller Welt re-importiert werden. Seit einiger Zeit schon werden ausnahmslos alle einreisenden Menschen direkt bei der Einreise in Quarantäne genommen und auf eine mögliche Infektion getestet. Nur die Leute, die nachweislich nicht infiziert waren, durften nach Hause in eine strenge 14-tägige Hausquarantäne mit versiegelter Tür und Überwachung durch das Nachbarschaftskommittee oder das Compound-Management. Als Ende Januar die Ausgangssperre in Shanghai verhängt worden ist, gab es zu der Zeit nur 2 bestätigte Corona-Fälle in der Stadt. Insgesamt wurden in Shanghai nur gut 360 Corona-Infektionen nachgewiesen, was bei 26 Mio. Einwohnern nicht viel ist. In den letzten 3 Wochen sind allerdings etwa 140 re-importierte Fälle aufgetreten.

Nun sind die Grenzen zu. Dabei sind sicher noch viele Menschen irgendwo auf der Welt verstreut, die ihren eigentlichen Lebensmittelpunkt in China haben, die hier arbeiten und deren Kinder hier zur Schule gehen. Ich kenne einige Familien, die jetzt in diesem Moment nicht zusammen sind. Der Vater arbeitet in Shanghai, die Mutter und die Kinder sind in Europa. Diese Situation stelle ich mir scheußlich vor, aber sie ist natürlich auch selbstgewählt. Das muss jeder für sich allein oder besser als Familie gemeinsam entscheiden. Wir sind auf jeden Fall froh und dankbar, dass wir hier sind, wo unser momentaner Lebensmittelpunkt ist und dass wir zusammen sind.

Wenn ich mich so umhöre, finden die meisten Menschen es gut, dass die Grenzen geschlossen sind. So besteht die Hoffnung, dass die Zahlen trotz der Öffnung der Provinz Hubei und der Stadt Wuhan einigermaßen niedrig bleiben. Wir alle hoffen auf Normalität. Wir sind der Normalität auch schon einige große Schritte näher gekommen. Restaurants und Cafés haben auf, die Strassen füllen sich langsam, Geschäfte öffnen wieder, bei Ikea lagen gestern schon wieder Menschen auf den Sofas, die Lieferanten dürfen wieder in unseren Compound fahren und ab dieser Woche soll endlich, endlich wieder Besuch im Compound erlaubt sein. Trotz all den Fortschritten sieht man ausnahmslos niemanden unterwegs, der keine Maske trägt. Im Auto, auf dem Roller oder Fahrrad, hängt sie zwar meist unten am Kinn, aber sobald jemand in der Nähe ist, wird automatisch Maske getragen. Pflicht ist das nicht mehr, einfach ein Selbstverständnis. 

 

Aber die Medaille hat ja wie immer zwei Seiten. Wenn jetzt niemand mehr nach China einreisen darf, der kein Chinese ist, dann bedeutet das im Umkehrschluss natürlich auch, dass ich nicht ausreisen darf. Ich meine, klar darf ich ausreisen, aber dann lassen sie mich im Anschluss natürlich auch nicht mehr rein. Hmm?! Wie finde ich das? Das hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack! In diesem Moment will ich ja auch gar nicht weg aus Shanghai. Aber es gibt da ja irgendwann die Sommerferien? Ich würde dann so gerne nach Deutschland fliegen, wo es schon in den Maiferien nicht klappt. Ich möchte meine lieben Freunde und die Familie sehen, das neue Haus meines Bruders, die Ostsee, die Berge, unseren Garten. Es kann ja auch immer mal einen Notfall geben in einer Familie und dann muss man momentan abwägen: Fahre ich hin und muss dann da bleiben? Oder bleibe ich hier und basta? So bleibt allein die Hoffnung, dass sich die momentan hier geltendende Einreisesperre bis zum Sommer erledigt hat und die Corona-Situation weltweit zunehmend entspannt... Mein Gott, hat die Welt momentan viele Baustellen, Fragezeichen und Ungewissheiten.

 

Davon lasse ich mich aber nicht verrückt machen. Ich verfolge die Nachrichten, aber sie drücken mich nicht darnieder. Ich schreibe und telefonieren mehr mit meiner Familie und mit Freunden als zuvor. Ich gehe vor die Tür und mache schöne Sachen. Draußen regnet es seit gestern, aber die Vögel zwitschern unverdrossen und laut weiter. Das ist doch eine gute Einstellung?!

 

Wir starten heute in den ersten Ferientag! Der Junior liegt faul im Bett und freut sich, dass er keinen Auftrag hat und ich freu mich, dass ich ganz in Ruhe hier sitzen und schreiben und Tee trinken kann. Wir atmen durch!

Liebe Grüße in die Welt hinaus,

die Gatzingerin