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Der Buh-Mann

Mit Beginn der Coronakrise in China, mussten immer mehr asiatisch aussehende Menschen in Deutschland mit Ablehnung und Ausgrenzung klar kommen. Dabei war es egal, aus welchem Land in Asien sie kommen, ob sie als Touristen in Deutschland sind oder dort lebten. Das war natürlich alles andere als fair und sinnvoll, für mich auch nicht nachvollziehbar, aber anscheinend brauchen manche Menschen in außergewöhnlichen Situationen einfach einen Buh-Mann. Bei uns in Europa war es in diesem Fall "der Chinese". Auch wenn die wenigsten Menschen in der Lage sein dürften, Chinesen, Koreaner oder Japaner auseinander zu halten.

 

Mittlerweile hat sich die Situation umgekehrt: In China ist das Coronavirus einigermaßen unter Kontrolle. In Europa steigen die Infektionszahlen in schwindelerregende Höhen und von Kontrolle kann derzeit noch keine Rede sein. China hat seine Grenzen für alle Menschen ohne chinesische Staatsbürgerschaft geschlossen. Jetzt höre ich immer mal wieder von Geschichten, dass nun der gemeine Westler, egal ob aus Europa oder den USA, ausgegrenzt wird. Das passiert nicht hier, wo wir wohnen, wo so viele Expats auf einem Haufen leben. Das passiert eher in der Stadt.

 

Eine Freundin was abends in Shanghai unterwegs zu einem Treffen und wollte eine junge Chinesin nach dem Weg fragen. Die Chinesin sei jedoch ängstlich vor ihr davon gelaufen und wollte ihr nicht zu nah kommen. Das gleiche Verhalten bemerkte ich, als wir letzte Woche vor dem Yu-Garten warteten. Da war auch eine Frau sehr ängstlich, zog ihren Mann zur Seite und wollte einfach nur Abstand wahren. Das Ganze läuft auch nicht laut und bösartig ab. Es scheint eine unterschwellige Angst zu sein, dass wir vielleicht gerade aus Europa nach China gekommen sein könnten und das Coronavirus im Gepäck hatten.

 

Am Sonntag wollten wir einen Ausflug zum Shanghaier Tiefseehafen machen, der auf einer der Stadt vorgelagerten Insel liegt. Allein die Donghai-Brücke mit 32 km Länge ist eine Wucht. Auf der Insel gibt es eine Scenic Area, wo man ein bisi klettern, laufen und staunen kann, aber leider haben wir die nicht erreicht. Als wir auf den Parkplatz fuhren, hat uns ein leicht panischer Wachmann zu verstehen gegeben, dass wir da nicht rein dürfen und weg fahren sollen. Wow. Das ist mir bis dahin auch noch nicht passiert. Jetzt sind wir der Buh-Mann. Wir sind dann einfach umgedreht, haben uns aber gar nicht wirklich darüber aufgeregt. Wir haben nicht das Gefühl gehabt, dass der Parkwächter uns ärgern wollte, sondern eher dass er wirklich Angst vor uns hatte. Sein Gesicht hat Bände gesprochen. Es war nur etwas ärgerlich, dass wir bei schönstem Wetter und bester Luft 3 Stunden im Auto saßen, ohne einen wirkichen Ausflug genießen zu können. So war der Trip einfach nur eine Sonntags-Spazierfahrt, wie ich sie noch aus frühester Kindheit mit Oma und Opa kenne, wenn wir im frisch geputzten Auto ohne wirkliches Ziel durch die Dörfer und über Land gefahren sind. Nur dass unser Auto nicht frisch geputzt war...

 

Bisher ist uns so eine Ausgrenzung hier in Shanghai noch nie passiert, nicht mal ansatzweise. Ich fühle mich hier immer sicher, auch jetzt. Ich habe mich immer wohlwollend beobachtet gefühlt. Neugierige Blicke. Freundliche Blicke. Und momentan scheinen hier und da ängstliche Blicke und der Wunsch nach Abstand hinzu zu kommen. Manche Menschen möchten, dass wir Abstand halten und wenn das alles ist, dann tun wir das halt einfach. Hier und da höre ich ein paar Westler, die sich darüber aufregen. Vielleicht lässt uns diese Erfahrung der Ablehnung oder Abgrenzung uns gegenüber aber auch ein wenig  mehr Verständnis für so manche Randgruppen in Europa aufbringen. Es gibt viele Menschen in Europa, die ausgegrenzt werden, die offene Ablehnung erfahren und die das ebenso wenig verdient haben wie wir hier in China oder wie ein asiatisch aussehender Mensch in Europa momentan. Die Suche nach einem Buh-Mann scheint aus meiner Sicht meist einfach nur Ausdruck der eigenen Hilflosigkeit zu sein.

 

Gestern Nachmittag waren wir mit ein paar Kindern und Eltern am Nachmittag einige Stunden im Zhongshan Park. Die wenigen deutschen Kids sind zwischen den vielen Chinesen kreuz uns quer über die Wiese geflitzt und haben Fussball und Fangen gespielt und niemand ist geflüchtet oder wirkte ängstlich. Ein paar Menschen standen dabei und haben unsere Kids beobachtet und ihre blonden Haarschöpfe heimlich fotografiert. Es war wie immer und das hat mich sehr gefreut. Mögen die ängstlichen Blicke die Ausnahme bleiben. Sowohl hier bei uns in Shanghai als auch anderswo auf der Welt.

 

Herzliche Grüße aus Shanghai an einem wunderbar sonnigen Frühlingstag bei leider nur mittelmäßiger Luft.

bis bald, die Gatzingerin