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Hongkou

Gestern war ein Sommertag mit Sonne, Wolken und Wind. Ich war mit Frau Nachbarin unterwegs, das ehemalige Jüdische Viertel von Shanghai zu erkunden. Es liegt etwas abseits der meisten Sightseeing-Routen im nördlichen Stadtteil Hongkou. Startpunkt war das Jüdische Flüchtlings-Museum in der ehemaligen Ohel-Moishe-Synagoge. Leider ist es zur Zeit noch geschlossen. Vor und während des Zweiten Weltkriegs sind etwa 30.000 Juden aus Europa nach Shanghai geflüchtet. Damals war Shanghai einer der wenigen Orte, die ihnen eine Einreise ohne Pass und Visum gestatteten. Die Japaner haben auf Druck der Nazis einen Großteil der Juden in Honkou in einem jüdischen Ghetto zusammen gepfercht. Trotz all der Armut und Enge soll sich dort ein vielfältiges, jüdisches Leben mit Schule, Theater, Läden, Cafés, Krankenhaus und Lokalzeitung entwickelt haben. Das Ghetto war damals bekannt unter dem Namen "Klein-Wien". Sogar die Überreste des renovierten "Weißen Rössl" haben wir gefunden. Im Reiseführer war noch die Rede von anderen Stationen jüdischen Lebens, aber an der Stelle war nur noch ein Bauzaun zu finden und dahinter wächst ein weiterer Wolkenkratzer in die Höhe. Am besten erhalten waren die Häuser in der Zhoushan Road und in der Huoshan Road rund um den Huoshan Park. In einem der Häuser an der Zhoushan Road hat auch W. Michael Blumenthal, der ehemalige Leiter des Jüdischen Museums in Berlin als Kind gelebt.

In direkter Nachbarschaft befindet sich noch der buddhistische XiaHai-Tempel, der blöderweise ebenfalls noch geschlossen war, und das Tilanqiao Gefängnis. Es galt einst als größtes Gefängnis Asiens und ist immer noch in Betrieb.

 

Ein weiterer Besuch dort steht aber auf dem Plan, wenn das Museum und der Tempel wieder ihre Tore öffnen.

 

Das Besondere an dem gestrigen Tag war vielleicht auch nicht allein der Spaziergang durch die Strassen von Hongkou sondern der Ausflug an sich. Es war der erste seiner Art seit Januar. Die Gatzingerin und Frau Nachbarin allein unterwegs ohne Gedanken an die Kinder. Kein Homeschooling, kein Scannen, kein Download oder Upload irgendwelcher Dateien in unseren Köpfen. Wir haben es genossen, uns bis zum späten Nachmittag einfach herumzutreiben. Das ist Balsam für meine Seele und ruft unbedingt nach Wiederholung!

 

Herzliche Grüße,

die Gatzingerin