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Kontakt

Es wurde mir so leicht gemacht beim Ankommen in Shanghai. Die Menschen, auf die ich hier getroffen bin und die mein Handy nun meine "Kontakte" nennt, sind meist in einer ähnlichen Situation wie ich. Alle haben den Sprung ins Ungewisse gewagt und sind tendenziell offen für neue Erfahrungen, eine neue Kultur, ein bisschen Chaos in ihrem Leben. Jeder von uns hier muss sich zu Beginn ein neues Netzwerk aufbauen, für sich selbst, für die Kids, die Familie, die Freizeitgestaltung. Ich war überrascht wie einfach es uns gemacht wurde.

 

Hier sind mir ein paar wirklich sehr liebe und tolle Menschen begegnet. Ich genieße die Momente und gemeinsamen Erlebnisse, große und kleine. Mal sind es gute Gespräche am Küchentisch bei einer Tasse Kaffee oder Tee, ein Ausflug in die große Stadt, ein gemütliches Mittagessen, der lustige Chinesisch-Unterricht oder auch der regelmäßige Spaziergang mit dem Hund im Compound. Auch wenn es keine lang gewachsenen Freundschaften mit gemeinsamer, verbindender Vergangenheit sind, so sind mir diese paar Menschen trotzdem sehr wertvoll und wichtig. Sie sorgen dafür, dass ich mich hier so wohl fühle. Besonders Dinge, Momente und Gefühle, die das Leben hier im fernen China betreffen, kann ich mit einigen Menschen hier viel besser verarbeiten und besprechen als mit den Freunden in der Heimat. Wir sitzen hier einfach im selben Boot und verstehen so manches selbstverständlicher, ohne großartige Erklärungen.

 

Es gibt aber auch diese anderen Momente. In denen vermisse ich meine lieben Mädels in der Heimat. Ich vermisse dann die Selbstverständlichkeit, mit der wir miteinander umgehen. Ich seh den anderen an und weiß, wie es ihm geht - oft ohne viele Worte. Ich muss nicht erklären, wie ich gestrickt bin, wie ich ticke. Jeder weiß Bescheid. Momentan muss mir da die Videotelefonie per WeChat oder WhatsApp reichen, manchmal auch ein Zoom-Meeting. Dann nehmt ihr mich mit in den Garten zum Pfirsichbaum, lasst mich in eure Küchen und Wohnzimmer schauen und ab und zu erblicke ich eure Kids, eure Männer, den Hund, die neue Terrasse, ein kleines Stück vom Alltag. Die Zeitverschiebung macht es nicht immer leicht zusammen zu kommen. Dann sitze ich am Nachmittag auf dem Sofa und ihr seid gerade erst aufgewacht. Oder ich liege schon wieder im Bett und verschlafe euren Versuch mit mir zu telefonieren. Aber oftmals klappt es auch und ich bin danach immer ganz beschwingt.

 

Das andere Phänomen, was mich immer mal wieder beschäftigt, sind die Gruppen und Grüppchen. Wer mich kennt, weiß, dass größere Gruppen und Gruppendynamik oft eher nicht mein Fall ist. Zu Beginn meiner Zeit hier in Shanghai hatte ich viele Einzelpersonen in meinen Kontakten bei WeChat. Im Laufe der Zeit kamen immer mehr Gruppen dazu. Die Klassen-Elterngruppe, die Chinesisch-Gruppe, die Mittwoch-Abend-Ausgeh-Gruppe, die Compound-Gruppe und noch viele, viele mehr. Allen Gruppen gemeinsam ist, dass sie auf stumm geschaltet sind, denn ansonsten gibt das Handy bald gar keine Ruhe mehr. Manchmal mag ich diese Gruppen. Oft sind sie auch sehr wichtig für den Informationsaustausch. Manche bieten mir eine Hilfe im Alltag, verschaffen mir einen fröhlichen Ausflug oder einen lustigen und geselligen Abend.

Es gibt aber auch Tage, da mag ich keine Gruppen. Da trete ich gleich wieder aus, sobald ich irgendwo hinzugefügt wurde. Das ist auch nicht böse gemeint. Es ist mir lediglich zu viel. Zu viel sowohl im Chat als auch bei manchen Treffen. Dann bin ich raus. Es steht mir vielleicht gerade nicht der Sinn nach Smalltalk und vielen Menschen. Nach Menschen, die ich kenne, aber auch wieder nicht kenne und die mich oftmals ebensowenig kennen.

Also verkrieche ich mich manchmal für einen kurzen oder langen Moment in meinem Schneckenhaus. Dann bleibe ich daheim, auch wenn mir eigentlich nach etwas Gesellschaft zum MIttagessen wäre, aber eben nicht nach einer großen Gesellschaft. Oder ich lasse mich alleine durch die Straßen und Gassen von Shanghai treiben. In größeren Runden hier überkommt mich an manchen Tagen ein Gefühl der Einsamkeit und in solchen Momenten bin ich lieber zuhause alleine statt mich inmmitten einer Gruppe allein zu fühlen.

 

Außerdem gibt es da auch noch diesen Moment, wo ich merke, dass ich mich in einem Menschen getäuscht habe. Das tritt dann im Laufe der Zeit zu Tage. Es wird vielleicht in einer Gruppe herumgezickt (ja....Frauen können das teilweise noch ebenso gut wie kleine Mädchen in der Grundschule) oder gar jemand anderes gedisst und einfach rausgeschmissen. Oder ich lese gewisse Aussagen, wundere mich und merke, dass mir dieser Mensch nicht wirklich gut tut und ich bin dann einfach mal weg. Auch das ist schon vorgekommen und gehört dazu. So ist das nun mal mit dem ersten Eindruck, man kann positiv wie negativ überrascht werden. Aber die negativen Überraschungen sind Gott sei Dank äußerst selten und ich bin froh, dass ich hier schon viele liebenswerte Menschen treffen durfte, mit denen der Alltag wirklich Spaß macht.

 

So ist das im Leben. Es bleibt einfach immer spannend. Besonders wenn man die eigene, altbekannte Blase daheim verlässt und in eine andere, unbekannte Blase in der Ferne eintaucht. Es zeigt sich, was wichtig ist und besonders wer wichtig ist. Immer wieder muss man die Spreu vom Weizen trennen und schauen, was einem persönlich wirklich am Herzen liegt. Und darauf muss man gut aufpassen und dranbleiben, es hegen und pflegen und weiterentwickeln.

 

So, genug der Küchentisch-Philosophie.

Heute ist ein Regentag. Ich habe viel Zeit, wie ihr merkt...

Außerdem wäre ich genau heute Abend in den Flieger gestiegen, der mich für die Sommerferien nach Deutschland gebracht hätte. Dort hätte ich dann ausgiebig Zeit gehabt, eben jene wichtigen Kontakte und Freundschaften und Familienbande von Angesicht zu Angesicht zu hegen und zu pflegen. Das muss nun warten.

 

Herzliche Grüße an all die wunderbaren Menschen auf dieser Welt mit all ihren Ecken, Kanten & Eigenheiten.

die Gatzingerin