Ein sonniger Samstag mit guter Luft hat mich wieder in die Stadt gelockt. Die Herren waren anderweitig unterwegs, denn die Fussball-Saison des Juniors hat wieder begonnen. Ich habe mich durch die Former French Concession treiben lassen; von den Shanghainesen wird die Gegend allerdings lieber Luwan genannt.
Gestartet bin ich in Tianzifang
田子坊, ein ehemaliges Künstlerviertel, was in eine Touri-Shopping Gegend der sympatischeren Art umgewandelt wurde. Unzählige verwinkelte Gassen, viele Mini-Läden und eher schlechte Restaurants
locken normalerweise viele Touristen an. Momentan ist es allerdings selbst an einem Samstag nicht überlaufen. Das Viertel ist aber nicht nur Touri-Falle, sondern gleichzeitig ein altes, immer
noch bewohntes Viertel und wenn es nicht zu voll ist, schlender ich dort gerne mal durch.
Weiter ging es durch die Sinan Lu, die ehemalige Rue Massenet. Alte Platanen beschatten die Strasse, europäisch anmutende Häuser und Villen mit teils großen Gärten und altem Baumbestand verzaubern mich. Einige Ecken sind ziemlich runtergekommen, andere Ecken dagegen sind absolut über-renoviert. Das Highlight an Über-Renovierung bilden die Sinan Mansions. Ein Komplex aus 51 Historischen Villen aus den 20er Jahren, die wie geleckt da stehen. Wunderschön und inmitten toller Gärten gelegen, fühlte ich mich dort fast wie nach Europa versetzt. Ein Augenschmaus, allerdings fast zu schön um wahr zu sein. Aber wenn etwas in China so tiptop renoviert ausschaut, läuft das meist wie folgt ab. Die 51 historischen Villen werden teils abgetragen, teils abgerissen. Dann werden sie detailgetreu neu aufgebaut, manchmal an anderer, passenderer Stelle. Copy-Paste. Manchmal müssen dafür auch noch einige Menschen ihre Häuser verlassen. Manchmal nicht wirklich freiwillig. Und am Ende stehen die Villen der 20er Jahre schön beieinander wie in einem Freilichtmuseum. Irgendwie befremdlich aber schön anzusehen ist es trotzdem.
Es ist für mich einfach immer wieder ein Highlight, mich durch diese Strassen treiben zu lassen. Jedesmal entdecke ich neue Ecken, Häuser, Menschen, Läden, Kleinigkeiten. Gestern blieb mein Blick an der Menschenschlange auf dem Fussweg gegenüber hängen, die geduldig an einer kleinen Fressbude anstanden, wo ein einziger alter Herr irgendein anscheinend leckeres Essen verkauft hat. Am besten fand ich einen alten Mann, der am Nachmittag in Schlafanzug und Schlappen in der Schlange stand. Schlafanzug auf der Strasse ist in Shanghai keine Seltenheit. Einerseits das schicke, noble, teure Shanghai, andererseits das einfache Leben von anno dazumal in den kleinen Gassen und Lilongs. Dicke Autos und Handkarren fahren neben einander auf der Strasse. Traditionelle Teehäuser und Starbucks. Glänzende, moderne Wolkenkratzer und alte Shikumen-Häuser, wo sich meist viel zu viele Menschen ein Zimmer teilen und Bad und Toilette außerhalb des Hauses liegen, aber das Sozialgefüge noch intakt ist. So ist Shanghai.
Diese Spätsommertage liebe ich. Es ist warm, aber nicht mehr heiß. Die Sonne taucht die Stadt in ein mildes Licht. Die Luft ist oft grün, also gut. An solchen Tagen genieße ich die Zeit hier sehr und es macht mir weniger aus, momentan nicht reisen zu können, weder nach Deutschland noch innerhalb Chinas. An solchen Tagen ist mir Shanghai genug, auch wenn ein paar Tage inmitten eines Bambuswaldes oder auf einer Bergwiese weiterhin sehr verlockend sind.
Liebe Grüße ins mittlerweile herbstliche Deutschland,
die Gatzingerin