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Herrschaftliche Villen

In der letzten Novemberhälfte habe ich zweimal die Gelegenheit genutzt und mich zu den sogenannten "Shanghai Walks" mit Carolin angemeldet. Sie hat sehr lange in Shanghai gelebt und weiß zu vielen Häusern, Straßen und Gassen Geschichten und Geschichte zu erzählen. Der erste Walk fand gefühlt noch im Sommer statt bei 25 Grad und Sonnenschein, während der zweite Walk mit klassischem November-Schmuddelwetter aufwartete. Beide Spaziergänge führten durch den eher südwestlichen Teil der ehemaligen Französischen Konzession mit zahlreichen Villen, die mich an Frankreich, Spanien oder England denken lassen; mit alten Appartment-Komplexen im Art-Deco-Stil und kleinen Gassen, die sich wie ein Geflecht zwischen den Gärten und Häusern hindurch ziehen. Früher konnte man auch als nicht-Bewohner alle Gassen und Lilongs problemlos durchstreifen. Momentan sind viele von ihnen leider verschlossen. Eine Folge der Corona-Bestimmungen. Ich hoffe, dass sich die Situation im kommenden Jahr wieder etwas mehr entspannt und man wieder überall willkommen ist. Die größten und schönsten Villen befinden sich meist im Besitz der Stadt Shanghai. Sind sie von besonders hohen und Blickdichten Mauern und Zäunen umgeben, wohnen dort meist hohe Politiker mit ihren Familien. Ein Prachtexemplar mit parkähnlichem Garten dient heute als nobles Altersheim für altgediente, wichtige Parteikader.

Bei meinen Streifzügen durch diese verrückte Stadt, merke ich immer wieder wie vielfältig und besonders Shanghai doch ist. Ein Schmelztiegel der Kulturen, wo ich eben noch in einem alten buddhistischen oder konfuzianischen Tempel bin, dann durch ein einfache, chinesische Gasse laufe und mich im nächsten Moment in einer Strasse unter den Platanen fast wie mitten in Europa fühle. Dazu kommt dann noch die moderne Glitzerwelt auf der anderen Flussseite in Pudong mit der berühmten Skyline. Es sind so viele wunderbare, kleine Details versteckt, die mir manchmal erst beim zweiten oder dritten Mal auffallen...oder wenn sie mir von Carolin gezeigt werden. In jener Gegend der Französischen Konzession war ich letzten Winter schon einmal unterwegs und ich war überrascht, wie viel sich schon wieder verändert hatte. Wahnsinnig viel alte Baussubstanz wird gerade renoviert und erneuert. Wahrscheinlich muss alles bis zum nächsten Jahr schick und ordentlich sein, wenn die Kommunistische Partei ihren 100. Geburtstag feiern will.

Ein Besonderes Highlight war der Besuch der Residenz der deutschen Generalkonsulin. Wenn ich einen neuen Reisepass bräuchte, wäre ich hier an der falschen Adresse. Da müsste ich eine Büro-Etage in der Nähe der Nanjing West Road aufsuchen. Die Residenz ist der Wohnsitz der Generalkonsulin und dient gleichzeitig als Kulisse für zahlreiche kulturelle Veranstaltungen, die zu Corona-Zeiten leider weniger zahlreich sind. Eine wunderschöne historische Villa im spanischen Stil, die hinter hohen Mauern versteckt in einem wunderschönen Garten liegt. Ganz so paradiesisch, wie es den Anschein hat, sei es aber nicht hier zu wohnen, berichtete uns ihre Bewohnerin. Man muss sich das Haus mit Termiten teilen, den Garten mit Mückenscharen und im kalten Winter auch mal mit 13 Grad Innenraum-Temperatur klar kommen. Aber ich bin immer noch der Meinung, dass die Vorzüge der Villa definitiv überwiegen. Der bunt bemalte Berliner Bär mit Motiven aus Deutschland und China begrüßt den Gast kurz hinter dem Eingangstor. Gestaltet wurde er im vergangenen Jahr von Oberstufenschülerinnen der Deutschen Schule Shanghai Hongqiao.