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Unser 16. Monat

In Deutschland ist der November ein eher grauer, ungeliebter Monat. Der schöne Herbst ist vorbei und die von Lichtern erhellte Adventszeit hat noch nicht begonnen. In Shanghai ist das etwas anders. Die erste Hälfte des Monats war geprägt von blauem Himmel, viel Sonne und meist guten Luftwerten. Da zieht es alle raus in die Parks und auf die Strassen oder an den Fluss. Jeder Sonnenstrahl wird nochmal intensiv genossen und aufgesogen. Am 18. November hatten wir noch einmal einen gefühlten Spätsommertag mit über 25°C und Sonnenschein und 2 Tage später hatte ich dann das Gefühl, dass nun plötzlich der Winter beginnt mit Regen, Wind, Kälte und dunklen Wolken.

 

Der November ist der Monat an dem es 7 lokal übertragenen Corona-Infektionen in der Stadt gab. Das hört sich aus europäischer Sicht nach traumhaft niedrigen Zahlen an, in China setzt aber jede einzelne Infektion die Behörden in Alarmbereitschaft und eine ganze Reihe an Maßnahmen wird umgehend in Gang gesetzt. Es werden Ortschaften und Siedlungen, wo die betroffenen Menschen wohnen, desinfiziert und für 14 Tage abgeriegelt. Das heißt niemand kommt in der Zeit raus oder rein, auch nicht der zufällig anwesende Lieferant, der Besuch oder Taxifahrer. Es wird versucht, mit Massentests eine mögliche Ausbreitung zu verhindern oder schnellstmöglich aufzudecken. Obwohl die Fälle alle ganz im Osten der Stadt in Pudong, ca. 50km entfernt von uns aufgetreten sind, wird in der ganzen Stadt sofort wieder viel mehr Maske getragen und nicht wie zuvor nur im ÖPNV oder in den Geschäften. Die Menschen sind vorsichtig. Auch unter uns Expats schrillen die Alarmglocken leise: Was bedeutet das für uns? für die Schule? für die Weihnachtsferien? Bisher sind die Auswirkungen für uns persönlich aber recht gering. Es wurden lediglich die Fussball-Ligaspiele des Juniors abgesagt, die immer am Wochenende drüben in Pudong stattfinden und wir werden einen Coronatest vor Antritt unserer kleinen Alltagsflucht Mitte Dezember machen, um sichergehen zu können, dass wir beim Check-Inn im Hotel keine Probleme bekommen werden. Trotzdem sind auch wir Expats im fernen Westen der Stadt etwas nervös und verfolgen die Situation sehr aufmerksam, denn sollten sich die lokal übertragenen Infektionen weiter ausbreiten, würde es sehr schnell wieder sehr streng werden. Da die Fälle aber alle im Umfeld des Cargo-Flughafens und seiner Mitarbeiter aufgetreten sind, dürfen wir vorerst so weiter machen wie bisher und es wäre natürlich schön, wenn das so bliebe.

 

Für den Junior war dieser Monat ziemlich vollgepackt mit Klassenarbeiten und Tests. Aufgelockert wurde der Alltag mit Übernachtungen am Wochenende, dem Geburtstag zweier Freunde, Fussball, Gitarre und den Olympischen Spielen, die in der Schule stattgefunden haben. Ein "geschichtlicher Sport-Tag" der 6. Klassen sozusagen.

Der Gatzinger war mal wieder auf Dienstreise; die erste und einzige des ganzen Jahres. Außerdem war eines seiner selbst gebrauten Biere fertig und er hat zur Verköstigung geladen. Das war eine sehr nette, lustige und unkomplizierte Gesellschaft, die länger dauerte als gedacht und am Ende waren alle Würstl gegessen und alles Bier getrunken. So ein schöner Tag. Das nächste Bier ist schon in Arbeit und wird wohl rund um Weihnachten fertig sein.

Auch an mir ist der November irgendwie so vorbei gerauscht. Es gab Geburtstage netter Damen zu feiern, Stadt-Spaziergänge bei blauem oder grauem Himmel, Tempel, Chinesisch-Unterricht und TaiChi. Viel Schönes, nix Besonderes. Einfach Alltag.

 

Es standen aber auch ein paar Abschiede an. Flix musste sich von einem Fussball-Trainer verabschieden und ich mich von einer Frau Nachbarin, deren Zeit in Shanghai zu Ende war. Gefühlt gehen vor Weihnachten einige Familien zurück nach Deutschland, was jedes Mal eine klitztekleine Lücke hinterlässt. Aber so ist das nun mal mit der Entsendung auf Zeit. Ein beständiges Kommen und Gehen.

 

Ab Mitte des Monats trat zunehmend die bevorstehende Adventszeit in den Focus. Wir haben die erfreuliche Nachricht bekommen, dass die Stadt unserer Schule eine Ausnahmegenehmigung erteilt hat und der alljährliche Adventsmarkt auf dem Schulgelände stattfinden darf. Es ging ein Freudenschrei durch die Schulgemeinschaft und so wurden gebrannte Mandeln produziert, das Glücksrad geschmückt, Gewinne organisiert und Pläne gemacht. Am letzten Samstag war es dann soweit und die Eltern konnten zum ersten Mal seit Januar das Schulgelände, nicht aber das Schulgebäude betreten. Wir mussten uns im Vorfeld mit Telefonnummern registrieren, haben Einlassbänder bekommen und unterschrieben, dass der in China essentielle HealthCode grün ist. Dann noch Temperatur messen lassen und "schon" waren wir drin. Es durften dieses Jahr nur Eltern und Geschwisterkinder teilnehmen; externe Besucher oder Verkäufer waren nicht zugelassen. Trotzdem war es ein rauschendes Fest. Gefühlt waren alle Anwesenden in bester Stimmung und glücklich darüber, dass dieses Schulfest völlig unerwartet doch noch stattfinden konnte. Das Wetter war trocken, aber kalt und so haben Glühwein und Bratwurst besonders gut geschmeckt. Emotionale Reden wurden vom Schulverein und der neuen Schulrektorin gehalten, wobei letztere 10 Monate nach ihrem Arbeitsbeginn an der Schule das erste Mal offiziell und live von allen Familien begrüßt werden konnte. Ich habe das Fest sehr genossen, das Beisammensein mit vielen liebgewonnenen Menschen und bin am Abend ganz beseelt mit einem Adventskranz beladen nach Hause geradelt.

 

Nicht nur in der Schule sondern auch im Hause Gatzinger nahm die Weihnachtszeit zunehmend Raum ein. Da wir eigentlich nie geplant hatten, Weihnachten in Shanghai zu verbringen, haben wir auch unsere Weihnachts-Deko in Deutschland gelassen. Lediglich eine Lebkuchendose mit roten Kugeln und Filz-Wichteln ist mit nach Shanghai umgesiedelt. Es musste also etwas Deko her, um auch in unserem Zuhause auf Zeit ein wenig Advents-Stimmung zu schaffen. Der Junior und ich haben angefangen, fleißig zu basteln. Es war ein richtiger Bastelflash. Wer mich kennt, wird jetzt wahrscheinlich verwundert die Augenbrauen nach oben ziehen und sich fragen "What?!". Aber so ist es. Wir haben Sterne en masse produziert. 3D-Sterne aus dickem Tonpapier, die nun als Girlanden in den Fenstern hängen und bunte Sterne aus Transparentpapier, die bei Sonnenschein ganz bezaubernd leuchten. Der Junior mal mit Kreidestiften Weihnachtsmotive an die Fenster und der Gatzinger hat die Nussknacker-Sammlung unserer Vermieter aus dem Keller geholt und im Haus verteilt. Dann noch schnell Lichterketten und Räuchermännchen bestellt und fertig ist die Deko. Auf den letzten Drücker hab ich den Adventskalender für den Junior bestückt und wie schon in der Heimat an der Treppe aufgehängt. Erstaunlich gemütlich ist es geworden, finden wir.

 

Heute ist es grau draußen. Immerhin trocken. Der schmuddelig nass-kalte Winter hat begonnen. Neidisch habe ich auf die Bilder vom ersten Schnee in Süddeutschland geblickt. Hier bilden die jetzt gelb leuchtenden Blätter der Gingko-Bäume schöne Farbkleckse und erfreuen mich, wenn ich mit dem Hund meine tägliche Runde drehe. Ich wünsche euch allen eine schöne und ruhige Adventszeit. Macht es euch schön!

 

Liebe Grüße,

die Gatzingerin