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Die Reisegruppe

Wir waren mit unserer Chinesisch-Lehrerin auf Reisen. Es sollte nach Xi'an gehen, denn da war unsere liebe Du Laoshi selbst noch nie gewesen. Bei der Planung haben wir alles in ihre Hand gelegt und hatten schon so eine Ahnung, dass es womöglich eine Reise der etwas anderen Art werden würde. Ganz anders als wenn wir West'ler uns sonst aufmachen, eine unbekannte Stadt oder Gegend zu erkunden. Wenn ich eine "Must-see"-Liste gehabt hätte, hätte ich am Ende wahrscheinlich jeden Punkt abhaken und zudem noch einige neue, mir bis dahin unbekannte "Sehenswürdigkeiten" hinzufügen können.

 

Wie es in China oftmals üblich ist, erfährt man manche Dinge immer erst Scheibchenweise. Selten werden alle Karten sofort offen auf den Tisch gelegt. In diesem Fall war das sicherlich sehr gut, denn ansonsten hätte ich die Reise vielleicht gar nicht angetreten. Mit größeren Gruppen und gewissen Gruppendynamiken stehe ich ja bekanntlich eher auf Kriegsfuß.

 

Frau Lehrerin kündigte uns vor einigen Wochen bereits an, dass sie ein Hotel für uns drei gebucht hätte. Der Cousin vom Freund ihres Mannes besitzt ein günstiges Hotel mit Blick auf die Stadtmauer. Da kamen wir dann auch Donnerstag mitten in der Nacht um 02:30 Uhr an, nachdem erst der Flieger Verspätung hatte und der Taxifahrer uns anschließend zuerst zum falschen Hotel mit ähnlichem Namen gefahren hatte. Ein sehr einfaches Hotel, nicht schön, aber die Zimmer waren sauber, die Matratze perfekt und der Wasserdruck sogar besser als daheim. Die historische Stadtmauer befand sich tatsächlich direkt vor meinem Fenster, war aber aufgrund der dreckigen Scheiben nicht wirklich zu sehen. Wie sich im Nachhinein herausstellen sollte, würden wir eh kaum Zeit im Hotel verbringen. Morgens um 7:15 Uhr ging es los und abends waren wir nicht vor halb 10 wieder da. Viel Geld für ein tolles Hotel wäre tatsächlich unnötig rausgeschmissenes Geld gewesen.

 

Nach nur 4 Stunden Schlaf standen wir dann am ersten Morgen noch etwas müde am Strassenrand und warteten auf unseren Guide. Gedanken im West-Hirn: Wir fahren zur Terrakotta Armee, schauen uns die an und ein Guide erzählt uns was dazu. Ja, so dachten wir. Als dann plötzlich ein grüner Reisebus voller Chinesen in jung und alt vor unserer Nase anhielt, wurde uns schlagartig klar, wie der Tag ablaufen würde. Während der ersten Stunde Busfahrt redete die Guide-Dame mit schriller, durch Mark und Bein gehender Stimme und ohne Punkt-und-Komma in ihr Mikro. Ich war froh fast kein Wort zu verstehen, konnte ganz gut auf Durchzug stellen und wenisgtens noch etwas Schlaf nachholen.

Der erste Stop war bei einem Sommerpalast mit Heilbädern irgendwelcher Kaiser aus der Tang Dynastie. Die angebliche Heilquelle war noch zu aktiv und zu besichtigen. So sagte Frau Guide. Komisch nur, dass das Wasser still stand und damit von einer natürlichen Quelle kaum die Rede sein konnte. Auf Nachfrage unserer Lehrerin, dass das ja keine Quelle sein könne, reagierte die Dame sehr pampig und nuschelte etwas von Wāiguǒrén, also Ausländern, die immer so blöde Frage stellen müssten. Von da an waren wir 3 Ausländer (denn auch Frau Lehrerin hat einen deutschen Pass) bei ihr in Ungnade gefallen und keines Blickes mehr gewürdigt. Man merke: Bitte keine unnötigen Fragen stellen, nicht mitdenken, nur konsumieren und mitlaufen.

Anschließend ging es zum Mittagessen. Direkt neben dem Restaurant befand sich ein großer Verkaufsraum für allerlei Schmuck aus Jade. Keine Ahnung ob hochwertig oder nicht, aber ich bin mir sicher, dass die Tourguide-Tante eine Provision bekommen hätte für jeden von mir getätigten Kauf. Komisch dass ich mich an deutsche Kaffeefahrten für Rentner erinnert fühlte. Im Anschluss ging es noch in ein kleines Museum, wo angeblich ein Hauch von Buddha's Asche zu sehen war. Meine Augen waren anscheinend nicht gut genug. Ich hab nix gesehen. Lag bestimmt daran, dass ich dringend eine neue Brille bräuchte.

 

Am frühen Nachmittag ging es dann endlich weiter zur Terrakotta Armee. Das war wie zu erwarten toll, beeindruckend und wunderbar. Wir haben uns von der Gruppe fern gehalten und haben den Nachmittag dort sehr genossen.

Am zweiten Tag in aller Früh sammelte uns ein kleiner, weißer Minibus vor dem Hotel ein und wir freuten uns schon, dass wir diesmal eine kleinere Gruppe sein würden. Aber weit gefehlt. Wir wurden damit lediglich zu einem Touristen-Umschlagplatz gefahren, wo wir wieder einem großen, grünen Bus voller Chinesen zugewiesen wurden. Zu unserer Erleichterung stand ein anderer Reiseleiter vorne im Bus. Ein junger Chinese mit freundlichem Gesicht und Teddybär-Figur, der mit vollem Körpereinsatz, lustiger Mimik und mit angenehmer Stimme Geschichten erzählt hat. Auch wenn ich natürlich nicht so viel verstanden habe, war es trotzdem ein Genuss ihm zuzuhören. Vielleicht lag es auch daran, dass wir ausgeschlafen waren.

 

Heute standen einige bedeutende Kaisergräber und Ausgrabungsstätten sowie ein wohl sehr wichtiger Tempel mit Buddha-Reliquien auf dem Programm. Beides wird wahrscheinlich in keinem westlichen Reiseführer erwähnt. Zumindest waren wir weit und breit die einzigen Nicht-Chinesen. Insgesamt waren die Sehenswürdigkeiten nicht wirklich spannend für mich. Mögen sie aus chinesischer Sicht vielleicht wichtig und bedeutend sein, so haben sie mein Interesse nicht wirklich wecken können. Aber der liebenswerte Reiseführer hat den Tag gerettet. Ebenso waren die anderen Mitreisenden ihrerseits sehr freundlich und immer aufmerksam, dass wir zwei West'ler ihnen nicht abhanden kommen. Was mussten wir uns auch immer wieder von der Gruppe entfernen und andere Wege beschreiten als vorgegeben. Das ist nicht vorgesehen. Zudem waren wir ein beliebtes Foto-Motiv und landeten mal mehr, mal weniger auffällig auf irgendwelchen Bildern.

 

Eigentlich hatte ich mich auf den letzten Programmpunkt des Tages gefreut. Tempel mag ich im Grunde immer. Dieser Tempel, der Fǎmén-sì 法門寺, bildet da allerdings eine Ausnahme. Ein moderner sozialistischer Prachtbau von einschüchternden Ausmaßen mit ewig langer Sichtachse der seinesgleichen sucht. Ich weiß gar nicht, wo und wie man in diesem Riesen-Tempel den Geist Buddha's spüren soll. Ich konnte dort lediglich den Geist des Sozialismus spüren. In seinem Inneren soll ein kleiner Mittelfinger-Knochen Buddha's zu finden sein, aber solchen Reliquien-Verehrungen stehe ich immer etwas skeptisch gegenüber, egal um welche Religion es sich handelt. Aus touristischer Sicht war der Tag für mich ein totaler Reinfall, aber in meiner Erinnerung ist er trotzdem positiv besetzt und das ist allein dem sympathischen Teddybär-Guide zu verdanken. Auf der langen Rückfahrt ist er immer noch munter durch den Bus gelaufen und hat typisch chinesische Leckereien an uns alle verteilt, wobei die beiden Deutschen immer etwas mehr bekommen haben als die anderen.

 

Spannend war es auch, die Landschaft westlich von Xi'an zu sehen. In der Provinz Shaanxi wird viel Obst angebaut. Im Sommer ist es trocken und heiß und so fuhren wir an diesem Tag an unzähligen, meist kleineren Obst-Plantagen vorbei: Äpfel, Granatäpfel, Weintrauben, Mandeln, Aprikosen, Pfirsiche und Nektarinen. Am Strassenrand habe ich eine kleine Tüte Aprikosen gekauft. So was leckeres habe ich lange nicht gegessen. Allein der Duft war wirklich betörend.

Ich weiß jetzt also ein kleines bisschen wie chinesische Reisegruppen funktionieren. Wie man an nur einem Tag sehr viele Haken auf der Liste der must-see-Sehenswürdigkeiten setzen kann. Besonders wichtig dabei ist es aus meiner Sicht, seinen eigenen Kopf auszuschalten, dem Guide brav hinterher zu laufen und sich nur für das zu interessieren, was er einem serviert und vorsetzt. Individuelles Denken und zu viele Fragen würden das System sprengen. Das ist hier im Land tatsächlich eine beliebte Reiseform für Chinesen aller Altersgruppen. Selbst Kinder werden mitgenommen und müssen sich die zahlreichen Erklärungen der Reiseleiter über ein Headset mit anhören. Es kann auch nicht nur am Geld liegen, dass dieses Art des Reisens gewählt wird, denn ein privater Guide mit Fahrer für 3 Personen wäre nicht viel teurer gewesen. Mir scheint es, als wären solche Gruppenreisen einfach die bevorzugte Form der Menschen hier. Es war ein sehr interessanter, wenn auch unfreiwilliger Einblick in das Innere einer chinesischen Reisegruppe. Nach dieser 2-tägigen Erfahrung kann ich mir jetzt auch in etwa vorstellen wie die Europa-Reisen vieler Chinesen funktionieren. "Ganz Europa in 10 Tagen!" Ich weiß jetzt wie das geht. Scheuklappen aufgesetzt und los. Nix für mich, aber für andere funktioniert das augenscheinlich ganz wunderbar und ist vor allem auch mit nur wenigen, verfügbaren Urlaubstagen machbar.

 

Sollte mich später in Deutschland wieder mal die Lust auf "Reisen auf Chinesisch" packen, dann werde ich einfach zum Schloß Neuschwanstein fahren. Wer weiß, vielleicht sieht man mich dann dort mit einer Gruppe fröhlicher Chinesen das Schloss besichtigen. Das hab ich nämlich bisher nur von Außen gesehen.

 

Liebe Grüße aus dem heute verregneten Shanghai.

die Gatzingerin