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7 Tage in Tibet

Tibet hat mich irgendwie schon immer fasziniert. In den westlichen Medien hört und liest man viel über das kleine Land weit oben auf dem Dach der Welt. In den hiesigen Medien hört und liest man auch so einiges, aber definitv anderes. In meinen frühen 20ern habe ich ein Buch der Französin Alexandra David-Néel über ihre verbotene Reise nach Lhasa verschlungen. Damals in den 1920ern war es allen Ausländern verboten, nach Tibet zu reisen. Heute ist es nicht mehr ganz so streng, aber Ausländer benötigen nach wie vor ein spezielles Einreise-Permit. Seit Beginn der Corona-Krise wurden keine Permits mehr ausgestellt. Anfang Mai diesen Jahres kam die Nachricht, dass Ausländer wieder ins Land gelassen werden. Sofort buchten wir unsere Reise über eine tibetische Reiseagentur. Ohne Agentur und Guide darf man das Land nicht bereisen. Allerdings war es bis Ende Juli ein ständiges hin und her, ein ja und nein, ob wir tatsächlich ein Permit bekommen würden. Selbst als wir das Permit, versehen mit vielen wichtigen, roten Stempeln, einen Tag vor der geplanten Einreise in den Händen hielten, waren wir uns nicht sicher, dass uns die Einreise am Flughafen von Lhasa wirklich gestattet werden würde.

 

Wie befürchtet gestaltete sich die Einreise nach Tibet tatsächlich als außerordentlich holprig. Was wollte die Einreisebehörde nicht alles sehen... grünen Healthcode, Travel-History-record der letzten 14 Tage, Permit, Pässe, letzter China-Einreisestempel, aktueller negativer Coronatest. Dadurch, dass es in Shanghai einen bestätigten, lokal übertragenen Delta-Fall am Cargo-Flughafen gab, wurden wir nach erfolgreicher Einreise postwendend per Bus gemeinsam mit 2 anderen Ausländern zu einem offiziellen Test- und Quarantäne-Hotel gebracht. Dort hat uns Gott sei Dank unser Guide abgefangen und mit vielen Versprechungen dafür gesorgt, dass wir den Test woanders machen dürfen. Ansonsten hätte wir nämlich bis zum Erhalt der negativen Testergebnisse in eben jenem Quarantäne-Hotel bleiben müssen. So sorgte unser tibetischer Guide Pasang, der Held, dafür, dass wir nach erledigtem Test am Abend ganz beruhigt und müde in ein gemütliches Bett sinken konnten. Was ein aufregender erster Tag auf 3800m.

 

Vor Antritt der Reise war der Junior zwar sehr erpicht darauf nach Tibet zu reisen, wahrscheinlich hatten wir ihn mit unserem Reisefieber angesteckt, aber er verspürte wenig Lust auf die Besichtigung der zahlreichen Tempel und Klöster, die auf dem Programm standen. Doch irgendwie hat Pasang es von Anfang an geschafft, ihn innerlich mitzunehmen und zu begeistern. So war er ganz bei der Sache, hörte interessiert zu und ließ sich voll auf die neuen Eindrücke ein. Wir waren alle 3 wirklich beeindruckt von den beiden Klöstern, die eher wie kleine mittelalterliche Dörfer wirkten, die wir am ersten Tag besucht haben. Es liegt eine ganz besondere, spirituelle Atmosphäre über diesem Land. Eine teils unwirkliche Zauberwelt. Besonders fasziniert haben mich die Mönche in der Sera Monastery, denen wir bei ihren täglichen Debattier-Übungen zusehen durften.

 

Am nächsten Morgen folgte das eigentliche Highlight der Reise. Der Besuch des Potala Palace. Der ehemalige Winterpalast des Dalai-Lama, wenn er denn dürfte, wie er wollte. Ich wusste, dass der Palast groß und prächtig auf einem Hügel über der Stadt trohnt, aber von den tatsächlichen Dimensionen war ich völlig erschlagen. So stand ich also vor diesem ganz besonderen , irgendwie unwirklichen Gebäude, dass ich schon so oft auf Bildern bewundert hatte und konnte meine Tränen plötzlich nicht mehr zurück halten. Ich wurde einfach überrollt von Emotionen und war für einen kurzen Moment ziemlich durch den Wind. Es war so ein unglaublich toller Moment, dort stehen zu dürfen. Natürlich war der Palast gut besucht von chinesischen Touristen, tibetischen Gläubigen, einigen dort lebenden Mönchen und uns 3 Ausländern. Wir waren nicht allein und hatten ein Zeitfenster von 2 Stunden, in denen wir die weltlichen, religiösen und privaten Bereiche besichtigen konnten. Ein sehr besonderer Ort, vor allem wenn ich mir vorstelle, wer eigentlich hier im gelben Teil des Palastes leben und vom Balkon winken sollte.

 

Am Nachmittag waren wir in der schönen Altstadt unterwegs und haben den ältesten tibetischen Tempel, den Jokhang Tempel besucht. Um in den Bereich der Altstadt zu kommen, war zuvor ein Sicherheitscheck mit genauer Kontrolle notwenidig... Wir haben auf einer klitzekleinen Dachterrasse mit Blick über die Altstadt Mittag gegessen, die steilen und schmalen Stufen des Tempels erklommen, viele verschiedene Buddhas bewundert und gelernt, dass die dickbäuchigen Buddhas, die man in Deutschland eher kennt, die chinesischen Buddhas sind. Die tibetischen sind die ursprünglicheren, sie sind hagerer und haben ganz andere Gesichter. Die Altstadt ist voll von schönen und scheußlichen Souvenirläden und kleinen Lokalen. Es ist viel Betrieb und immer wieder wird der große, blonde Junge mit den blauen Augen angestarrt, bewundert und angelächelt. Mittlerweile erträgt der Junior die unverhohlene Aufmerksamkeit recht gut. Er posiert auch schon mal für das ein oder andere Foto mit einem kleinen Mädchen, nimmt kurz seine Maske und Sonnenbrille ab und geht dann weiter als wäre nix gewesen.

 

Am folgenden Tag machten wir uns auf den Weg nach Shigatse (auch Xigaze geschrieben). Wir fuhren Pässe hinauf, machten Pause am heiligen Yamdrok-See, versuchten einige Yaks zu fotografieren, sahen kleine Dörfer, Raps- und Gerstefelder, Schafe- und Rinderherden. Den höchsten Punkt der Reise erreichten wir am Karola-Gletscher auf 5130m. Dort weht nun eine tibetische Gebetsfahne mehr im Wind als zuvor und trägt unsere guten Wünsche ins Universum. Beim Befestigen der bunten Fahnen schossen mir schon wieder ein paar Tränen in die Augen. Ich hab das Gefühl, hier noch näher am Wasser gebaut zu sein als eh schon. Wahrscheinlich hängt es mit dieser ganz besonderen, spirituellen Stimmung zusammen, die über dem Land zu liegen scheint. Die Höhe haben wir alle erstaunlich gut vertragen, auch wenn wir natürlich für die kurzen Fussstrecken wesentlich länger brauchten als normal. Es stand noch die kleine Pelkor-Monastery mit der Kumbum-Stupa auf dem Besuchsplan. Allerdings waren wir von der vielen Fahrerei bereits ziemlich müde und die Begeisterung war weniger groß als zuvor in Lhasa. Zumal angekommen in Shigatse ja noch ein weiterer, wenig spiritueller Coronatest auf uns wartete.

 

Am kommenden Morgen stand eine letzte Monastery auf dem Programm, die allerdings geschlossen war. Weiterhin mussten wir uns bei der lokalen Polizeibehörde einen wichtigen Stempel auf unserem Permit abholen, damit wir auch offiziell in Shigatse angemeldet sind. Im Anschluss noch schnell die Testergebnisse vom Vortag abholen und schon waren wir auf dem direkten Rückweg nach Lhasa. Die Fahrt wurde "aufgelockert" von 3 weiteren Polizeikontrollen, die jeweils unterschiedlich abliefen. Mal aussteigen, mal nicht. Mal was unterschreiben und noch einen roten Fingerabdruck zur Sicherheit oben drauf. Pässe, Testergebnisse und Permit wollten sie immer sehen, den grünen Healthcode nie, den grünen Travel-Code teilweise. Puh... Am späten Nachmittag waren wir wieder in Lhasa und haben den Tag auf der Hotel-Terrasse mit spielen, lesen und einem Abendessen ausklingen lassen.

 

An unserem letzten Tag in Lhasa war irgendwie die Luft raus. Wir hatten einen allerletzten Corona-Test zu absolvieren. Den brauchten wir für unseren Rückflug. Also wieder Schlange stehen, warten, testen und einmal kurz schütteln. Ein letztes Mal waren wir in der Altstadt, weil der Junior sich noch ein kleines Andenken kaufen wollte. Doch irgendwie waren wir ziemlich genervt von den ständigen Kontrollen und der Präsenz der "Offiziellen", dass wir keine Lust mehr verspürten, uns noch weiter treiben zu lassen. So fuhren wir zurück ins Hotel und haben unserm Guide frei gegeben. Es war nämlich eigentlich gerade ein tibetisches Fest, das sogenannte Yoghurt-Festival, dessen Feierlichkeiten allerdings aufgrund der wieder etwas angespannten Corona-Situation kurzfristig abgesagt wurde. So konnte er wenigstens die Zeit mit seiner Familie verbringen. Wir entspannten noch einmal im Hotel, ließen die letzten Tage Revue passieren und packten langsam unsere Sachen zusammen.

 

Da das 70-jährige Jubiläum zur "Befreiung" Tibets unmittelbar bevorstand und jene Feierlichkeiten nicht wegen des Großen C abgesagt wurden (...) mussten an jenem Tag nicht nur wir, sondern alle Ausländer die Provinz Tibet verlassen (...). Zwei Tage zuvor war ein neuer, großer Flughafenterminal eröffnet worden, der leider noch nicht ganz fertig gestellt war, aber Hauptsache rechtzeitig offen. Viele Flüge waren gecancelt, noch mehr verspätet und so war es gar nicht so einfach, einen Flug zu bekommen, der uns noch bis zum Abend nach Shanghai bringen sollte. Aber der Gatzinger hat eine Möglichkeit gefunden, einen Flug nach Xi'an entdeckt, schnell die Tickets gebucht, die unser Guide erst einmal für uns bezahlt hat, weil unsere Ausländische Kreditkarte in dem Moment natürlich nicht akzeptiert wurde. Es folgte ein schnelles Einchecken, eine ungeduldige Sicherheitskontrolle, ein Sprint zum Gate und dann hob der Flieger auch schon ab mit komplett geschlossenen (...) Fenstern im Flieger. Keine Ahnung, was in dem Moment niemand erblicken sollte (...). Es war nicht das erste Mal, dass wir in China bei der Landung oder beim Start die Fenster schließen mussten. Unangenehm, aber nun denn. In Xi'an ging dann noch einmal das gleiche Spiel los. Mit viel Rennerei, Gepäck holen, lokalen Greencodes und einem erneuten Check-in saßen wir dann tatsächlich im Flieger nach Shanghai, was bei uns für große Erleichterung sorgte. Keiner von uns hatte Lust auf eine weitere Zwischenübernachtung, jeder freute sich auf das eigene Bett.

 

Was eine Reise. Die Tage waren eine Bereicherung für jeden von uns und ich bin wahnsinnig froh, dass wir die Chance bekommen haben, die Region Tibet zu bereisen, die ruhigen und angenehmen Tibeter zu erleben und durch unseren tollen Guide einen kleinen Teil ihrer Kultur kennenlernen zu dürfen. Gleichzeitig war es nicht immer leicht die vielen Kontrollen auf die leichte Schulter zu nehmen und gerade jetzt fallen sie aufgrund der Coronafälle in Mainland China noch strenger, intensiver und unberechenbarer aus, was nicht immer leicht zu ertragen war. Aber dieses Land bereisen zu können, war in meinen Augen jeden Aufwand wert.

 

Jetzt sind wir also zurück in Shanghai statt am tropischen Strand von Hainan zu entspannen.

Den Rest des Urlaubs haben wir storniert. Corona sei Dank.

 

Herzliche Grüße,

die Gatzingerin