· 

Unser 25. Monat

Der August liegt so gut wie hinter uns. Hier in Shanghai ist es immer noch unerträglich heiß und schwül. Morgens um halb 9 steht das Thermometer schon bei knapp 30 Grad. Der Sommer scheint kein Ende zu nehmen und doch verlangt mein Körper und meine Seele nach frischer, kühlerer Luft. Ich würde gerne einfach mal wieder tief durchatmen können. In Süddeutschland dagegen scheint bereits der Herbst begonnen zu haben. Ich sehe Bilder von einem Becher mit dampfendem "Heißer Hirsch" bei 10 Grad und Regen. Das ist ganz bestimmt auch nicht erstrebenswert an einem Augusttag in den Sommerferien, dennoch erscheint es mir in diesem Moment sehr verlockend bei 10 Grad im Regen durch den Wald zu spazieren und die frische Luft in meinen Lungen zu spüren.

 

Das erste Drittel des Monats haben wir in Yunnan und Tibet viel frische Bergluft einatmen dürfen und obwohl die Luft bei der Höhe schon ziemlich dünn wird, war es für uns einfach nur toll, bei 15-25 Grad unterwegs zu sein. Ich fand es mega kuschelig am Abend meine Lieblings-Strickjacke anzuziehen und gemütlich auf der Terrasse zu sitzen oder durch die Altstadtgassen zu laufen. Irgendwie sind diese Temperaturen mehr mein Ding, was natürlich keine ganz neue Erkenntnis ist; schließlich zog es uns in den Sommerferien in Europa auch eher nach Skandinavien als in den wuseligen und heißen Süden. Wer mir jetzt vorhalten mag, dass ich mich hier bitte nicht so echauffieren möge, da ich ja gewusste habe, wie der Sommer in Shanghai aussieht, dem sei gesagt: Ich hatte ja gar nicht vor, den Sommer komplett in Shanghai zu verbringen. Corona kam in meiner pro-und-contra-Rechnung nicht vor. Ich sah uns, die Sommerferien in Deutschland mit Freunden und Familie verbringen, mit dem Radl zum Ammersee fahren, baden, Akkus aufladen. Das ist nun bereits den zweiten Sommer nicht möglich und hinterlässt bei uns und vielen anderen hier so langsam seinen Spuren. Chinesische Kleinigkeiten fangen vermehrt an zu nerven und ich sehe, dass bei immer mehr Menschen, das Nervenkostüm ziemlich wackelig ist. Bis Ende nächsten Jahres werden sich die geltenden Einreiseregeln sicherlich nicht lockern; sie haben sich zuletzt, Delta sei Dank, eher noch verschärft. Nur wenige Familien mit Kindern haben es diesen Sommer gewagt, nach Deutschland zu fliegen. Eine Familie kann nun tatsächlich nicht gemeinsam zurück nach Shanghai kommen, da sich die Tochter während des Urlaubs anscheinend mit Corona infiziert hatte. Das klingt nicht schlimm, zieht aber einen mega Rattenschwanz hinter sich her: Der vor der Rückreise nötige Antikörper-Bluttest ist auffällig, das Kind bekommt von der chinesischen Botschaft keinen Greencode erteilt und darf somit den Flieger zurück in den Shanghaier Alltag nicht besteigen. Dann hat man genau zwei Möglichkeiten. Entweder man wartet ein paar Wochen, schaut, wie sich die Antikörper im Blut entwickeln und probiert es erneut. Aber da ist ja noch die Schulpflicht... sollen die Kinder dann also erst wieder in Deutschland zur Schule und später reißt man sie noch einmal raus aus ihrem neuen Alltag oder entscheidet man sich gleich dafür, komplett in Deutschland zu bleiben? Da steckt diese Familie in einer wahrlich sehr bescheidenen Situation und das Ende ist, dass die Mutter mit den beiden Kids nun in Deutschland bleibt und der Vater hier vorerst weiter seinem Job nachgeht - alleine. Das war genau das Horro-Szenario, was mich davon abgehalten hat, diesen Sommer nach Deutschland zu fliegen, um meine Akkus aufzutanken. Mit diesem Damoklesschwert über mir, hätte ich die Tage in der Heimat wohl kaum genießen können. Ein Kollege vom Gatzinger hängt ebenfalls in Deutschland fest, da erst sein Flug gestrichen wurde und er sich zudem noch mit Corona infiziert hat. Da es momentan nur sparsame 6 Flüge pro Woche von Deutschland nach China gibt, ist der früheste verfügbare Flug erst wieder zu Ende Oktober buchbar. Na, Herzlichen Glückwunsch!

 

Nun aber genug gemotzt. Ich bin gerade eigentlich hauptsächlich von der scheinbar never-ending-Hitze genervt. Ab Mitte September sollte das herrliche Spätsommerwetter beginnen. Diese Schönwetter-Periode zieht sich dann meist mit nur wenigen Unterbrechungen bis Ende November durch und ist für mich die schönste Zeit in Shanghai. Darauf freue ich mich tatsächlich schon sehr.

 

Der Delta-Aubruch mit einigen C-Fällen an so einigen Orten hier im Land scheint einigermaßen unter Kontrolle zu sein. Seit 2 Tagen gibt es keine lokal übertragenen Fälle mehr. Zuvor waren es bis zu gut 100 Fälle pro Tag gewesen. Auch in Shanghai am Flughafen in Pudong ist wieder Ruhe in das lokale Ausbruchsgeschehen eingekehrt. Das harte Durchgreifen mit Quarantäne und intensiver Kontaktverfolgung hat Delta vorerst mal wieder in die Schranken gewiesen, aber trotzdem bereitet mir das chinesische Festhalten an der "Zero-Covid" Strategie zunehmend Bauchschmerzen. Da auch hier im Land immer mehr Menschen geimpft sind und es dadurch weniger schwerwiegende Erkrankungen gibt, wäre ein langsames Umdenken aus meiner Sicht sinnvoll. Aber das wird bis Herbst 2023 nicht passieren, da bin ich mir sicher. Erst noch Olympia im Winter und nächstes Jahr im Herbst andere weitreichende Entscheidungen durchdrücken und dann erst besteht vielleicht, eventuell, möglicherweise die Aussicht auf vereinfachte Reiseregularien. Aber dann werde ich nicht mehr hier sein. Dann ist es mir persönlich tatsächlich auch egal!. (Obacht - Ganz vielleicht schimmert hier an der ein oder anderen Stelle ein klein wenig Sarkasmus durch.)

 

Dem Gatzinger haben die 3 Wochen Urlaub am Stück sehr gut getan. Er war raus aus der Gedanken-Schleife "Arbeit" und konnte einiges an Entspannung mit in die ersten Arbeitstage retten. Der Rechner bleibt abends meist im Büro und Feierabend ist damit auch wirklich Feierabend. Nach den langen Sommerferien ist der Junior letzte Woche in die 7. Klasse gestartet. Der Alltag ist zurück. Ich hatte bereits meine erste Chinesich-Stunde nach der langen Pause und da ich in den zurückliegenden 7 Wochen sehr faul war und nicht gelernt habe, lief das Lesen der Zeichen wieder etwas langsamer als zuvor. Aber mit der wöchentlichen Übung soll das wohl schnell wieder besser werden.

 

Eines der positivsten Ereignisse im August war übrigens, dass es hier nun endlich 630er und Vollkorn-Dinkelmehl zu bezahlbaren Preisen zu kaufen gibt. Zuvor wurden Summen von bis zu 11,-€/kg aufgerufen, was mir dann doch etwas zu heftig war, aber nun bietet mein kleiner, feiner Lieblingsladen um die Ecke es für gut die Hälfte an und das sind dann die kleinen Freuden des Alltags. Da hab ich mir gleich mal einen kleinen Vorrat angelegt und nun werden bereits fleißig neue Rezepte ausprobiert. Das Highlight waren letzte Woche die Dinkelseelen mit Salz oder Käse, die mich doch sehr an daheim erinnert haben. Saulecker. Ich arbeite also weiterhin fleißig an meinem Teig- und Glutenverständnis und bin immer noch teils erstaunt, teils sehr beglückt, was ich da an Leckereien aus meinem Ofen ziehe.

 

Ich schicke herzliche Grüße und etwas chinesische Hitze ins nass-kalte Süddeutschland.

Auf euch wartet mit Sicherheit ein superschöner Altweibersommer! Auf uns hier auch!

Alles Liebe, die Gatzingerin