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Chanthu & Delta

Vor den Philipinen hatte sich vergangene Woche ein ordentlicher Taifun zusammen gebraut. "Chanthu" war zwischenzeitlich sogar als Super-Taifun kategorisiert und ist mit ziemlich hoher Geschwindigkeit an Taiwan vorbei geflogen, bevor er sich auf den Weg Richtung Shanghai gemacht hat. Laut Vorhersage sollte er Dienstag und Mittwoch eine Runde direkt über der Stadt drehen. Also wurden vorsorglich alle Schulen ab Montag Nachmittag geschlossen. Am Dienstag war das Büro des Mannes ebenso zu und wir alle befanden uns im Homeoffice-Modus. Die Kids hatten den Fächern entsprechend Aufgaben zu bearbeiten und der Mann saß in seinem Braukeller-Büro und kam nur ab und an hoch, um Kaffee-Nachschub zu organisieren.

 

Geregnet hat es seit Samstag immer mal wieder, dann immer mehr und auch teilweise heftig. Ab Montag Mittag kam dann auch vermehrt Wind dazu, aber ein wirklicher Sturm ist bei uns nicht wirklich angekommen. Darüber möchte ich mich aber auch gar nicht beschweren. Es flogen hier und da kleinere Äste durch die Gegend, die ein oder andere Windböe war etwas stärker, aber insgesamt haben wir hier in unserer Ecke wirklich Glück gehabt. In anderen Gebieten der Stadt ist die Bilanz etwas schlimmer ausgefallen, aber Shanghai hat insgesamt Glück gehabt. Der Taifun hat seine ursprüngliche Route leicht gen Osten verlagert und seine Runde nicht wie vorhergesagt über der Stadt sondern draußen auf dem Meer gedreht. Mittlerweile ist er unterwegs in Richtung Japan und hier normalisiert sich das Wetter wieder. Die Kids sind wieder in der Schule, der Mann im Büro und der verrückte Hund kann sich wieder über seine Compound-Runden freuen. Der positive Effekt, den Taifune in der Regel mit sich bringen, ist die gute Luft und angenehmere Temperaturen. Seit gestern stehen dem entsprechend die Fenster offen, eine leichte Brise weht durch's Haus und das Thermometer ist auf Mitte 20 Grad gesunken. Herrlich. So lässt es sich hier gut aushalten.

 

Und was macht Delta?

Nachdem im großen Land der Mitte fast 4 Wochen Ruhe war mit lokal übertragenen Corona-Infektionen und die lokalen Nachrichten viel gejubelt und noch mehr gelobt haben (wer dabei bejubelt wurde bleibt unklar...), hat sich Delta vor ein paar Tagen aus einer anderen Provinz schlagkräftig zurück gemeldet. In 3 Städten der Provinz Fujian werden täglich neue Fälle gemeldet. Es wurde sogar schon der Übeltäter gefunden, der Delta ins Land gebracht hat. In diesem Fall kam Delta am 4. August mit einem Reisenden aus Singapur ins Land. Dann hat das hinterhältige Virus eine kleine Pause eingelegt, bevor es eben diesen Mann infiziert hat und am 10. September endlich nachgewiesen werden konnte. Wahnsinn, wie geduldig und zurückhaltend so ein kleines Virus doch sein kann. Geduld wird hier groß geschrieben und das hat Delta sich anscheinend zu Herzen genommen. Ich komme aus dem Staunen mal wieder kaum heraus. Da wird das scheinbar Unmögliche möglich gemacht. Wahsinnig beeindruckend... oder vielleicht auch ein klitze kleines bisschen erschreckend?!

 

Blöd ist halt wieder der ganze Rattenschwanz den Delta mit sich bringt. Denn weiterhin gilt im Land ja die Null-Covid-Strategie und somit werden wieder Wohngegenden abgeriegelt, Millionen Menschen mehrmals getestet, Städte soweit dicht gemacht, dass man sie nur mit einem negativen PCR-Test verlassen darf und der lokale Flug- und Zugverkehr ist vorerst komplett ausgesetzt.

Eigentlich liegt vor uns ein langes Wochenende und auch die Herbstferien starten Anfang Oktober. Von der Shanghaier Schulbehörde wurde die Regel ausgegeben, dass wir aktuell die Stadt verlassen dürfen, aber im Anschluss einen negativen PCR-Test vorlegen müssen, bevor der Junior die Schule wieder betreten darf. Das ganze kann sich aber auch schnell wieder ändern und es gibt vielleicht doch wieder die 14-tägige Anwesenheitspflicht in Shanghai, bevor ein Schulbesuch gestattet wird. Ihr seht, das fragile Kartenhaus wackelt mal wieder gehörig und ich habe das Gefühl, dass ich mich auf keine bestehende Regelung wirklich verlassen kann, weil morgen schon wieder was anderes gilt.

Wir hatten für die freien Tage, die vor uns liegen, nichts Großartiges geplant. Wir wollten nur in die Nachbarprovinz fahren und dort 1-2-3 kleine Wasserstädte anschauen. Leider grenzt eben diese Provinz direkt an die momentan von Delta heimgesuchte Provinz und das ist uns dann schon wieder zu unsicher. Also bleiben wir daheim, denn keiner von uns hat Lust 3-4 Wochen irgendwo fest zu hängen, weil dort plötzlich alle ganz laut "Corona" schreien.

 

Ich muss sagen, dass mir diese "Zero-Covid" Strategie zunehmend auf den Zeiger geht. Ich fand diese Herangehensweise zu Beginn der Pandemie wirklich gut, als es noch keinerlei Erfahrung mit dem Virus und keine Impfstoffe, keinen Schutz gab. Aber mittlerweile ist ein Großteil der Bevölkerung auch hier im Land geimpft und trotzdem habe ich das Gefühl, dass wir auf der Stelle treten und keinen Schritt voran kommen. Viele Menschen im Land sind nach wie vor der Meinung, dass wir uns hier in China ja sehr glücklich schätzen können, weil wir hier sooo sicher sind vor Corona... Ich fühle mich hier allerdings zunehmend unsicher, weil ich die Gesamt-Situation als sehr unberechenbar empfinde und mich gefühlt auf nichts wirklich verlassen kann. Heute gilt diese Regel, morgen schaut es dann so aus und übermorgen wieder ganz anders. "Hupsi - da haben wir wieder einen neuen Delta-Fall, ach, dann machen wir hier auch mal wieder alles dicht und du bleibst einfach mal da!" Willkür pur, denkt sich mein westliches Hirn voller Schreck. Weiterhin schleichen sich bei mir Gedanken ein, dass es den Ober-Chefs im Land wahrscheinlich gar nicht so unrecht ist, wenn nur im großen Gallierdorf China die bösen Delta-Römer unter Kontrolle gehalten werden können während der Rest der Welt im Pandemie Chaos versinkt. So oder so ähnlich klingt zumindest das Storytelling im Land. Haareknitter. Mehr will ich dazu gar nicht sagen, mich lieber nicht weiter aus dem Fenster lehnen, bevor ich noch selber aus dem Fenster falle oder gefallen werde.

 

Ich fände es nur einfach schön, wenn auch dieser Teil der Welt langsam anfangen würde mit dem Virus zu leben anstatt sich weiter abzuschotten. Allerdings gehe ich nicht wirklich davon aus, dass das in naher Zukunft passieren wird. Vor Ende nächsten Jahres erwarte ich keine Lockerung der Einreise-Restriktionen, keine Entspannung, was ich wirklich sehr schade finde. Da schottet sich ein Land fast komplett ab von der Welt und stellt sich nach außen hin kauziger dar als es im Kern wirklich ist. Ich finde es einfach traurig, dass wir auch für den Rest unserer Zeit hier in Shanghai keinen Besuch bekommen können. Wir werden niemandem unsere Lieblingsecken der Stadt zeigen können und China wird für die Lieben in der Heimat weiterhin ein ziemlich fremdes Buch mit sieben Siegeln bleiben. Dabei gibt es hier im Land neben all den meist eher negativen Sachen, die in den westlichen Nachrichten auftauchen, auch so unendlich viele schöne Seiten, über die nirgends berichtet wird. Eine verpasste Chance. Aber so ist es nunmal.

 

Das war's erstmal aus FernOst über Sturm, Regen, Viren und meinen Gedanken dazu.

Seid von Herzen gegrüßt,

die Gatzingerin