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Maßnahmen

Omikron fordert auch in China seinen Tribut. Diese kleine, hinterhältige Variante entschlüpft trotz strengster Überwachung und Vorkehrungen immer wieder und breitet sich mancherorts fröhlich aus. Das war zu erwarten, ist aber trotzdem nicht schön und fühlt sich nicht gut an. Denn hier in China fürchten sich die meisten Menschen, mit denen ich zu tun habe, mehr vor den möglichen Maßnahmen seitens der Behörden als vor einer tatsächlichen Ansteckung mit dem Virus.

 

Da reisen dann zum Beispiel mir bekannte Familien in den Weihnachtsferien in den tropischen, grünen Süden von Yunnan, nah der Grenze zu Vietnam, und finden sich kurz vor dem Jahreswechsel in einem Lockdown in Xishuangbanna wieder, über den allerdings auf keinem Nachrichten-Kanal berichtet wird. Mitgefangen, mitgehangen. Wegen (offiziell) 2 lokaler, asymptomatischer Fälle befinden sich dann Millionen Menschen im Lockdown, müssen mehrmals für ihre PCR-Tests Schlange stehen und nur wer 2 negative Tests innerhalb von 48h vorweisen kann, darf eine Genehmigung beantragen, die Stadt verlassen zu dürfen. Klingt gut, ist aber schwierig, da natürlich alle Flüge gestrichen wurden und man nur die Möglichkeit hat per Zug zu entkommen, um anschließend in Kunming sein Glück am Flughafen zu versuchen. Wenn ich solche Geschichten höre, vergeht mir doch glatt die Lust am Reisen.

 

Aber auch wer in Shanghai bleibt, kann so manche Überraschung erleben. Freunde in der Stadt fanden sich im Januar plötzlich für 48h in ihrem Compound eingesperrt wieder, da dort eine Kontaktperson oder wahlweise auch die Kontaktperson einer Kontaktperson eines bestätigten Falles wohnt. Nachdem dann innerhalb von 2 Tagen alle Bewohner 2 negative PCR-Tests vorliegen hatten, wurden die Compoundtore wieder geöffnet.

 

Die Frau eines Arbeitskollegen wurde lediglich einmal getestet, dafür allerdings mitten in der Nacht. Gegen 1 Uhr nachts klingelt es an der Haustür und wer erschrickt da nicht, wenn man schlaftrunken die Tür öffnet und vor einem 2 weiß-gewandete Marsmännchen stehen und einem jeweils ein Teststäbchen in die Nase und in den Rachen schieben. Da die beiden leider nur chinesisch gesprochen haben, konnte das "wieso-weshalb-warum" nicht ganz geklärt werden. Aber auch der Test scheint negativ gewesen zu sein, denn ansonsten wären die Marsmännchen mit Sicherheit wieder gekommen und hätten sie gebeten, ihre Koffer zu packen und mitzukommen.

 

Der Februar war im Grunde recht ruhig was das Virus in Shanghai anbelangt. Das gefürchtete Sternchen* im Travelcode-Miniprogramm war verschwunden, was bedeutet: keine lokal übertragenen C-Fälle in der Stadt innerhalb der letzte 14 Tage. Dabei gehen die Zahlen innerhalb Chinas gerade langsam, aber kontinuierlich nach oben. In der Nachbarstadt Suzhou wurden aufgrund lokaler Fälle sogar die Schulen zurück in den online-Modus geschickt und alle dort lebenden Menschen diversen PCR-Tests unterzogen. Mittlerweile gehen die Fälle zurück, aber die Schulen dort sind nach wie vor geschlossen und sie befinden sich gerade in Homeschooling Woche 3...

 

Doch zurück zu Shanghai. Gestern gegen Mittag verbreitete sich auf WeChat die Nachricht, dass ein chinesischer Compound schräg gegenüber der Schule und in etwa 1 km Entfernung von unserem eigenen Compound komplett abgeriegelt wurde. Die Strasse war voll mit Krankenwagen und Polizei. Alle Eingänge in den Compound bis auf den Haupteingang sind mittlerweile verriegelt und verrammelt und seit heute Nachmittag wissen wir auch warum. Es sind nur 4 km von uns entfernt, auf der anderen Seite der Autobahn, 5 neue Fälle gefunden worden, wovon 3 symptomfrei sind. Alle 5 Damen sind Mitarbeiterinnen eines Supermarktes, was die Zahl der engen und weniger engen Kontaktpersonen wahrscheinlich ins unermessliche schießen lässt. Und mindestens eine Kontaktperson scheint in dem Compound direkt um die Ecke zu leben. Dort leben leider ebenso einige Busfahrer der Schule, ein paar Reinigungskräfte der Schule, einige Gärtner aus unserem Compound und die Ayi von Freunden und sicherlich gibt es noch so einiges mehr an Querverbindungen. Herzallerliebst. Der Compound befindet sich auf jeden Fall für 14 Tage im Lockdown, ebenso wie einige andere jenseits der Autobahn und ich bin mal gespannt, welche Konsequenzen das für unsere Schule und Umgebung haben wird. Bisher ist nur zu spüren, dass alle wieder Masken tragen beim Einkaufen und an den Compoundeingängen ringsumher emsig die Greencodes kontrolliert werden.

 

Ich fühle mich um etwa 2 Jahre zurück versetzt und habe den Eindruck, das Land tritt irgendwie auf der Stelle ohne voranzukommen. Leben mit dem Virus? Zumindest nicht hier. Aber vielleicht ist das in diesem Riesenreich mit all den vielen Millionenstädten auch nicht so ohne weiteres möglich, da die medizinische Versorgung wahrscheinlich nicht hinterher kommen würde. Aber die Impfungen scheinen immerhin einigermaßen zu helfen, denn es gibt vermehrt symptomfreie und kaum schwere Fälle laut offizieller Nachrichten.

 

Heute habe ich große Sehnsucht nach Deutschland, wo das Leben mit dem großen C anscheinend langsam, aber sicher in ruhigere Bahnen kommt. Zumindest scheint es so, wenn ich Nachrichten lesen und mit Freunden und Familie schreibe und spreche. Ich würde einfach gerne wieder selbstständig entscheiden, wo ich mich in Quarantäne begebe...

 

Und wie es hier mit unserem Alltag weiter geht, werde ich euch berichten.

Herzlichst, die Gatzingerin

 

P.S.1:

Und gerade wo ich diese Zeilen fertig geschrieben habe, kommt die offizielle Nachricht, dass alle Schüler, Lehrer und Mitarbeiter auf dem Schulgelände getestet werden sollen. Jetzt auf der Stelle. Da bin ich gerade gar nicht traurig, dass der Junior die komplette Woche mit Bauchweh daheim geblieben ist.


P.S.2:

Eine Woche war die Schule noch offen. Ab Montag sind dann alle Schulen in der Stadt wieder im homeschooling Modus. Daumen drücken, dass der Zustand nur von kurzer Dauer sein wird. Ich fühle mich „back in the springtime of 2020“.