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Unser 33. Monat

Ich bin spät dran mit dem April-Bericht. Vielleicht weil mir momentan einfach die Worte fehlen, für das was hier in Shanghai seit Mitte März passiert. Ich hatte ja schon erwartet, dass Omikron diesem Land noch einmal gehörig um die Ohren fliegen wird, allerdings habe ich nicht erwartet, dass Chinas Maßnahmen so drakonisch sein würden, wie wir es seit dem 1. April erleben.

 

Unsere Statistik für April sieht wie folgt aus:

26 Tage Lockdown

4 Tage ist 1 Person pro Haushalt und Tag außerhalb des Compounds zu Fuss erlaubt

11 Tage Haus und Garten nicht verlassen

15 Tage Spaziergang innerhalb des Compounds erlaubt

6x PCR Test

21x Selbsttest

 

DerJunior hatte 3 Wochen Homeschooling und 1 Woche Ferien

Der Gatzinger hat komplett im Homeoffice gearbeitet

 

Ausgefallen:

5 Tage in Wuyi Shan für den Junior und mich

4 Tage Qingdao für den Gatzinger und Freunde

1 Bierprobe obwohl das Wetter traumhaft war

1 Woche Familienurlaub in der Idylle von Yangshuo/Guilin

 

Ostern gab es kein einziges Osterei und keinen Schoko-Hasen.

Der Osterhase musste stattdessen 11 Haribo-Tüten im Garten verstecken.

 

Es wurde ein Lockdown Bier gebraut und bereits in Flaschen abgefüllt. Das letzte in Shanghai gebraute Bier des Gatzingers.

Das gesamte für die Bierprobe gebraute Bier wurde in den vergangenen Wochen fast komplett von uns selbst vernichtet. Immerhin haben wir nicht unter Bier-Mangel gelitten wie viele andere Menschen dieser Stadt.

 

Unzählige Brote, Hotdog Semmeln, Burger Semmeln, Frühstückssemmeln und Kuchen wurden im April aus dem Ofen gezaubert.

 

Auf WeChat und in den chinesischen sozialen Medien ist der Bär los und es wird gepostet und zensiert, was nur irgendwie geht. Viele Videos oder Artikel sind bereits nach wenigen Minuten von der Big-Brother-Behörde gelöscht, andere überleben etwas länger. Shanghaier Künstler passen alte chinesische Propaganda Plakate den aktuellen Gegebenheiten an oder überführen typische Lockdown-Szenen und Bilder, die überall in den sozialen Medien kursieren, in kleine Zeichnungen.

 

In den großen Compounds in der Innenstadt wird zum all-abendlichen "auf-den-Topf-klopfen" am Fenster oder auf dem Balkon aufgerufen. Es wird aus den Fenstern der Frust heraus geschrien, es werden Videos auf Hauswände gebeamt, Konzerte gegeben und gemeinsam laut gesungen. Kurz darauf sind all diese Dinge natürlich wieder verboten und werden zudem subversiven Kräften aus dem Ausland zugeschrieben, vor denen sich die chinesische Bevölkerung bitte in Acht nehmen soll. Diese Warnungen werden auch gerne an alle Handynummern per sms verschickt.

 

Die Zustände hier brauche ich im Prinzip nicht weiter zu beschreiben. Das ist alles recht ausführlich und wahrheitsgetreu in der deutschen Presse nachzulesen. Teilweise ist es auch noch schlimmer, teilweise nicht ganz so wild. Bei uns hier draußen am Stadtrand ist es tendenziell entspannter, da wir alle einen Garten, viel Platz im Haus und den grünen Compound außen rum haben. Eine kleine Blase, die wir zwar nicht verlassen dürfen, aber in der das Leben erträglich ist. Am schlimmsten ist für uns die Willkür der Maßnahmen, die Willkür der Umsetzung, das Ignorieren von wissenschaftlichen Fakten. Kurz gesagt, es ist der absolute Schwachsinn, der hier momentan regiert. Mit Gesundheitsvorsorge und Prävention hat das Ganze nicht wirklich etwas zu tun. Es geht um die Demonstration von Macht und das stumpfe Festhalten an einer Zero-Covid Strategie, von der nicht abgewichen werden darf, damit keiner DA OBEN das Gesicht verliert. Corona bietet Peking eine geniale Möglichkeit die totale Kontrolle ausüben und immer noch auszuweiten. Ich meine, im Herbst ist die große "Wahl" in Peking und der jetzige Oberfuzzi möchte unbedingt auch der zukünftige Oberfuzzi sein und da heiligt der Zweck augenscheinlich die Mittel. Und was wäre als Demonstration der Legitimität der eigenen Machtansprüche passender als das weltoffene Shanghai und seinen liberalen Köpfen mal so richtig die Leviten zu lesen. Genau das erleben wir hier gerade. Viele Chinesen mit denen ich spreche, sehen die Geister der Kulturrevolution aus der Versenkung auferstehen und fühlen sich an dunkle Zeiten erinnert. Viele schämen sich für ihr Land und die Ignoranz gegenüber der Wissenschaft, die Abwesenheit des logischen Denkens und der Menschenverachtung, die den meisten Maßnahmen zugrunde liegt. Allerdings muss man wissen, dass der große Rest des Landes die Dinge, die in Shanghai passieren, nicht wirklich mitbekommt. Da wird nur der Erfolg der Maßnahmen gefeiert, nicht aber das Leid der Menschen geschildert.

 

Wie die Geschichte weiter geht, werde ich spätestens im Mai berichten!

Soviel als Vorschau: Lockerungen werden angekündigt, Verschärfungen folgen!

Schwachsinn to be continued...

 

Wir sitzen das hier noch ein bisi aus. Stand Heute haben wir noch 65 Tage vor uns und wir hoffen, dass es bis dahin einfacher sein wird, zum Flughafen zu kommen. Dass es möglich sein wird unsere paar Kubikmeter Fracht, die mit nach Deutschland soll, abholen zu lassen. Dass es möglich sein wird, der Skyline auf Wiedersehen zu sagen. Dass wir noch einmal ein paar Freunde zum Abschied in den Arm nehmen dürfen. Allerdings bin ich froh, dass die mir am wichtigsten Menschen ebenfalls im Sommer nach Deutschland zurückgehen werden und wir uns auch einfach dort in einem Garten, am See oder in einem Café unkompliziert und ohne Ängste und Sorgen begegnen können. Das macht den Abschied um einiges leichter.

 

Liebe Grüße an die Heimat.

Macht euch keine Sorgen, uns geht es soweit gut.

Aber es reicht dann auch langsam....

 

Auf bald, die Gatzingerin