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Unser 34. Monat

Mit dem Mai-Bericht habe ich mir ganz schön viel Zeit gelassen. Mir fehlte einfach die Muße, die Ruhe und die Zeit. Zuerst wusste ich nicht so recht, wie ich den zweiten Monat des Lockdowns in Worte fassen sollte. Dann war ständig etwas auszumisten, zu sortieren, zu verkaufen oder vorzupacken, damit alles bereit ist, wenn die Sachen für den Container gepackt werden. Und bis vor 3 Tagen hat mich dann auch noch ein Hexenschuss lahm gelegt, welchere das ruhige Sitzen und Schreiben komplett unmöglich gemacht hat.

 

Aber nun ist alles vollbracht: Die Hexe ist besiegt, der Container gepackt und hier kommen nun meine Worte zum Mai.

 

Der Wonnemonat Mai ist der zweite Monat im Lockdown für alle in Shanghai. Die Statistik dieser 31 Tage sieht für unseren Compound folgendermaßen aus.

 

20 Tage Lockdown - d.h. Compoundtore geschlossen

11 Tage dürfen wir den Compound verlassen, aber so gut wie alle Läden sind zu

18 PCR Tests

20 Selbsttests

 

Zu Beginn des Monats hatte der Junior noch eine Woche Maiferien, die natürlich etwas eintönig ausfiel, da Ferien ohne Freunde oder Reisen tendenziell wenig Freude machen. Der Gatzinger hatte die erste Maiwoche ebenfalls frei. Auch wenn wir nichts Spannendes auf dem Programm stehen hatten außer PCR Tests und Selbsttests, hat es allen gut getan, dass morgens in der früh kein Wecker geklingelt hat und auf niemanden feste online Termine gewartet haben. Es folgten dann weitere 3 Wochen Homeschooling.und Homeoffice, viele Spaziergänge im Compound, Badminton im Garten und Backstunden in der Küche.

 

Mitte Mai gab es dann einen 13. Geburtstag zu feiern. Mit den Geschenken mussten wir etwas improvisieren, da zu der Zeit Online-Bestellungen noch nicht ausgeliefert werden durften, es sei denn, es handelt sich um Lebensmittel oder andere lebensnotwendige Dinge. Aber wir haben zum Erstaunen des Juniors trotzdem das ein oder andere Geschenk auf den Geburtstagstisch zaubern können, teils mit Hilfe der Nachbarn, die uns mit Leihgaben ausgeholfen haben bis das gewünschte Teil endlich in "neu und OVP" zugestellt werden konnte, teils mit einer Lieferung an unsere Wohnung in Deutschland, wo Freunde es fotografiert haben und dort wartet es nun geduldig auf unsere baldige Rückkehr.

 

Mitte Mai öffneten sich ebenfalls nach 2 Wochen täglicher Tests einige Compoundtore in unserer Gegend. Es war kaum zu glauben. Ich nutzte die Tage, um schnell so einige Dinge in den zahlreichen Verkaufs-Chats los zu werden. Das lief erstaunlich gut und so war ich fleißig damit beschäftigt, die verkauften Sachen an die neuen Besitzer zu übergeben. Da wir noch keine anderen Compounds betreten durften, musste die Übergabe stets auf neutralem Grund, sprich auf der Strasse erfolgen. Da wir den Compound leider auch noch nicht mit dem Auto verlassen durften, habe ich so einige Dinge auf dem Roller transportiert, die dafür eigentlich viel zu groß waren. Aber "geht nicht gibt's nicht" und so wurde das fast Unmögliche möglich gemacht und es ist tatsächlich nix zu Bruch gegangen oder runter gefallen.

 

Ein weiteres Highlight war der Haarschnitt des Juniors beim Straßenfriseur. Regulär durfte natürlich kein Friseur seine Türen öffnen, aber gegen einen Stuhl auf dem Gehweg ist ja erstmal nix einzuwenden. Vor diesem Stuhl bildete sich schnell eine Schlange, nachdem sich die Möglichkeit eines Haarschnitts erst einmal herumgesprochen hatte. Aber da jeder Kunde nach maximal 10 MInuten fertig war, musste der Junior nicht lange warten, um seine blonde Matte geschoren zu bekommen und der freundliche Friseur mit den ebenfalls sehr langen Haaren hat tatsächlich einen super Job gemacht, der die 25 RMB (3,50€) unbedingt wert war!

 

Nach 3 Tage der relativen Freiheit mussten leider alle Compounds ihre Tore wieder schließen, weil (natürlich!!!) erneut Fälle gefunden wurden. Das war ziemlich frustrierend und wir alle haben uns gefragt, wie jemals eine funktionierende Exit-Strategie aussehen könnte. Teilweise hatte ich wirklich das Gefühl, bis zum Ende unserer Shanghai-Zeit im Lockdown zu sitzen. Es folgte eine weitere Woche täglicher PCR Tests und gelegentlicher Selbsttests und dann wurde tatsächlich ein weiterer Versuch der Öffnung unternommen. Seit dem 24. Mai sind unsere Schranken nun wieder offen und das bis zum heutigen Tag. Zwar waren nach wie vor alle Läden und Restaurants geschlossen, es wurde weiterhin fleißig getestet, aber das macht meiner Meinung nach auch Sinn. Ich habe Freunde getroffen und in den Arm genommen, noch mehr Sachen verkauft, mich abends mit einer Flasche Wein, Gläsern und Grissinis mit einer Freundin vor der Schule getroffen und auf das Wiedersehen angestoßen. Der Junior hat auch endlich nach 2 Monaten Teenie-Einsamkeit die Möglichkeit gehabt, einen Freund zu treffen. Ach, es war einfach herrlich die Jungs gemeinsam lachen, rennen und quatschen zu sehen. Das hat wirklich gefehlt!

 

Der Monat Mai war hart. Für alle. Nicht ständig, aber immer wieder und immer öfter. An manchen Tagen erschien der Lockdown endlos, war wahnsinnig willkürlich und hat sehr viele unmenschliche Facetten gezeigt, die nicht uns, aber anderen Menschen in dieser eigentlich so lebendigen und liebenswürdigen Stadt passiert sind. Bei uns hat der Lockdown im Grunde nur ein wirkliches Opfer gefordert: unsere Tischtennisplatte. An einen besonders schwarzen Tag musste sie einfach durch den Keller fliegen (ja, sie ist tatsächlich geflogen). Aber der Verlust war zu verschmerzen und so konnte ich sie immerhin von der Liste der noch zu verkaufenden Gegenstände streichen. Mein Verständnis für fliegende Tischtennisplatten oder andere fliegende Gegenstände hält sich ja sehr in Grenzen und ich bin in solchen Momenten meist überfordert und verlasse den Ort des Geschehens. Eine Freundin allerdings sagte dazu nur, dass sie am liebsten mitgemacht hätte, um ihrer Wut und Hilflosigkeit in dieser beschissenen Lockdown Situation Luft zu machen. Bei ihr haben statt Tischtennisplatten Putz- und Mülleimer das Fliegen lernen müssen. Diese 2 Monate waren wirklich eine Grenzerfahrung für einen jeden hier in Shanghai.

 

Der Monat endete ganz unverhofft mit einem kleinen Feuerwerk, Wunderkerzen und Sekt bei uns vorne am runden Platz mit Blick auf die noch geschlossenen Compoundtore. Für den 1.6. war das Ende des allgemeinen Lockdowns verkündet worden und da der gemeine Chinese Feuerwerke und Böller liebt, haben wir uns am Abend verabredet und aus so einigen Autos wurden Raketen und Co in nicht gerade geringen Mengen ausgeladen und zur Freude aller gezündet. Wir Nachbarn haben mit Sekt und Bier angestoßen, haben uns gefreut und hoffnungsfroh, wenn auch etwas skeptisch auf den 1.Juni angestoßen! Ein unerwartet schönes und geselliges Ende für einen völlig verkrampften und unentspannten Monat!

 

Liebe Grüße aus dem immer heißer werdenden Shanghai.

die Gatzingerin