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Harry

Bevor wir vor über 3 Jahren nach Shanghai zu unserem Look&see-Trip aufgebrochen sind, hatte ich mich schon spontan über das Internet in unser jetziges Haus verliebt. Gleich am ersten Tag haben wir es besichtigen können und wir waren alle 3 Feuer und Flamme. Wir haben zwar auch noch andere Häuser besichtigt, aber mehr als einen "ganz nett"-Status hat keines erreicht. Nachdem wir also in Gedanken bereits in UNSER Haus eingezogen sind, übermittelten die Vermieter über unseren Agent die Frage an uns, ob wir uns vorstellen könnten, ihren Labrador Harry mitsamt dem Haus zu übernehmen. Unterschwellig war es natürlich keine Frage, sondern ein "Hund-und-Haus zusammen" oder eben gar nix.

 

Da Labradore in der Regel ja sehr familienfreundliche Hunde sind und der Junior bei unserem ersten Besuch bereits fröhlich mit ihm im Garten gespielt hat, hatten wir ein gutes Gefühl und haben spontan und unüberlegt JA gesagt - und diese Entscheidung im Nachhinein auch nicht bereut. Wir haben nur 2 Bedingungen gehabt: Alles was mit Tierarzt zu tun hat, bleibt weiterhin in der Hand der Vermieter und sie müssen Harry's Betreuung organisieren, wenn wir auf Reisen sein würden. So kam der Deal zustande.

 

In Harry's Charakter haben wir uns nicht getäuscht. Eine Seele von Hund, treu ergeben und auch von vielen, wild tobenden Kindern, Feuerwerk oder anderen Hunden lässt er sich nicht aus der Ruhe bringen. In den 3 Jahren mit uns hat Harry ein paar überflüssige Pfunde verloren, was wahrscheinlich auf das vermehrte Gassi-gehen zurückzuführen ist. Er läuft mittlerweile ruhiger an der Leine, hört besser auf Kommandos und ist einfach eine gute Seele, die sich über jede Feier bei uns im Haus gefreut und all die vielen Streicheleinheiten sehr genossen hat. In den 3 Jahren hat er sich vom kräftigen, verspielten Hund zu einem älteren Hundeherrn mit stolzen 11 Jahren gewandelt. Die Treppenstufen in den Garten fallen schwerer, das Aufstehen am Morgen scheint oft mühsam und nach einer Spazierrunde von 1,5 km im Compound ist sein Akku leer.

 

Wir sind ja eigentlich eher Katzenmenschen als glückselige Hundebesitzer. Ich mag Hunde, aber viel lieber mag ich sie, wenn sie nicht mir gehören und ich der Rudel-Chef sein soll. Auch mag ich am Morgen lieber meine Ruhe und nicht freudestrahlend unten an der Treppe mit erwartungsvollem Blick empfangen werden. Ich mag nicht das Zentrum der Aufmerksamkeit eines Hundes sein. Da ziehe ich es eher vor, von meiner eigenen Katze ignoriert zu werden. Das passt eher zu meinem Wesen.

Aber trotzdem haben wir es nie bereut, zu Harry und dem Haus JA gesagt zu haben. Es tut generell immer gut ein Haustier um sich herum zu haben. Die guten Tage mit Harry haben definitiv überwogen und ich hoffe, er verzeiht mir, dass ich mein Herz nicht wirklich an ihn verloren habe und ab und zu mehr genervt als ihm zugewandt war. Aber er ist nun mal einfach keine Miezekatze...

 

Harry hatte, glaube ich, eine gute Zeit mit uns. Er hat die vielen Spaziergänge und das Spielen im Garten mit dem Junior genossen. Vielleicht hat er das üppigere Essen etwas vermisst, dass unsere Vermieter ihm kredenzt haben, aber seiner Figur und seinen Knochen haben die paar Pfund weniger sicher gut getan. Was Harry wahrscheinich am allermeisten geliebt hat, ist Corona. Durch dieses vermaledeite Virus, war er wesentlich weniger allein als jemals zuvor in seinem Leben. Das hat ihm mit Sicherheit sehr gut gefallen.

 

Wenn ich mich von Harry in weniger als 3 Wochen verabschieden muss, werde ich traurig sein und es wird die ein oder andere Träne fließen; beim Junior wahrscheinlich noch mehr als bei mir. Ich werde traurig sein, weil ich ihn dann nie mehr wiedersehen werde, aber nicht deshalb, weil ich dann keinen Hund mehr habe. Das wird eher eine Erleichterung sein für mich. Ein Besuch ab und zu wäre trotzdem schön - ist aber natürlich aus bekannten Gründen nicht möglich.

 

Wie es mit Harry weitergeht? Da noch keine Nachmieter für unser Haus in Sicht sind, werden vorerst unsere Vermieter wieder einziehen und bei Harry sein. Entweder sie bleiben dauerhaft oder sie finden noch einmal jemanden, der Harry seine Zeit und Aufmerksamkeit schenken möchte. Ich bin froh zu wissen, dass Harry bei unseren wirklich sehr netten Vermietern gut aufgehoben sein wird. Er freut sich jedes Mal, wenn sie durch die Tür zu Besuch kommen, und scharwenzelt dann um die beiden herum. Er wird uns vielleicht vermissen, aber ist weiterhin in guten Händen.

 

Das Konstrukt des "Miet-Hundes" war für uns perfekt und führte immer wieder zu ungläubigem Staunen, wenn wir anderen davon erzählt haben. Nun ist unsere gemeinsame Zeit fast zu Ende. Gut haben wir vier es zusammen gehabt - meistens. Anstrengend war es auch - manchmal. Ich sage von Herzen "Danke Harry" für die gemeinsamen 3 Jahre. Adé und mach's gut. Und dann freu ich mich, sobald die Abschiedstränen getrocknet sind, auf die Hunde von Freunden und Bekannten, die ich streicheln und herzen kann, ohne verantwortlich oder gar Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit zu sein. Und irgendwann wird ganz sicher wieder ein leises "miau, miau" durch unsere Wohnung klingen. Darauf freue ich mich jetzt schon sehr!

 

Herzliche Grüße,

die Gatzingerin